Laudatio für Monica Juneja

Sehr geehrte Frau Professorin Steinbeck, sehr geehrte Frau Professorin Seegers, sehr geehrter Herr Prof. Kaiser, liebe Kolleginnen und Kollegen, Studierende und Gäste, und ganz besonders herzlich begrüßt: sehr geehrte Professorin Monica Juneja,

„There is a crack in everything. That’s how the light gets in.“ An diese Zeile aus einem der politischeren Lieder von Leonard Cohen fühlte ich mich erinnert, als ich Monica Junejas jüngstes Buch zu Ende las, denn sie schließt mit einem ähnlichen dialektischen Gedanken: Es sind gerade die Risse, die Lücken, die „cracks“ innerhalb unserer disziplinären und akademischen Ordnungen, durch die das Licht herein kommt – das Bewusstsein für andere, alternative Ontologien, für erweiterte Handlungsfelder, mit denen die globalen Prozesse der Vergangenheit und die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft fassbar werden.
Das Werk, von dem ich spreche, erschien in diesem Jahr 2023 als, wie Monica Juneja selbst erklärt „(…) result of more than a decade of research, teaching and intellectual exchanges, often across disciplinary divisions“. Es ist charakteristisch für ihren offenen, dialogischen und zugleich im besten Sinn rigorosen Denkstil, dass der Titel eines solchen Werkes als Frage formuliert ist: „Can Art History be Made Global?“, ergänzt um den bedeutenden Untertitel „Meditations from the Periphery“.

Damit sind zentrale Leitmotive in der Forschung unserer Preisträgerin benannt: Peripherie bedeutet mehr als eine geographische Markierung, sondern vielmehr einen kritischen Modus, einen epistemischen Perspektivwechsel, der festgelaufene intellektuelle Vorstellungen und Kategorien unterlaufen kann. Meditationbezeichnet – ich zitiere: „a process of methodological doubt, it seeks to rebuild knowledge from the ground up, to arrive at a mode of self-knowledge”.

Dieser Grundgedanke einer produktiven Verunsicherung ist wohl wiederum die beste Versicherung gegen eine universalistische oder ökonomisierte Lesart der Globalisierung als steter Fortschritts- und Erweiterungsgeschichte. Die Verankerung des transkulturellen Blickwinkels in den akademischen Institutionen kann ihr Potenzial nur da entfalten, wo sie sich von solchen teleologischen Rahmungen loslöst. Nicht überall, wo der Begriff der Transkulturalität in den letzten Jahren und Jahrzehnten in Lehr- und Forschungscurricula einging, wurde diese Unterscheidung konsequent gemacht. Monica Junejas Theorie von Transkulturalität beruht ganz wesentlich auf kritischer Historiographie und Begriffsgeschichte sowie auf disziplinär spezialisierter Expertise – dies erweist sich in ihren „Meditations“, die nicht nur transkulturell sondern auch transhistorisch um unterschiedliche Fragestellungen der südasiatischen Kunst- und Kulturgeschichte kreisen. Gerade diese feste disziplinäre Verankerung ist es, die interdisziplinäre Ansätze möglich macht, sogar über das Feld der Geisteswissenschaften hinaus. Im Postskriptum ihres Opus Magnum spricht Monica Juneja mit Blick auf die Klimakrise davon, wie die althergebrachte humanistisch begründete Trennlinie zwischen Natur- und Geisteswissenschaften produktiv zum Einsturz gebracht werden muss und wird.

Hier zeigt sich, welches Potenzial eine sorgfältig aufgestellte transkulturelle Methode für eine Perspektiventwicklung für Gegenwarts- und Zukunftsthemen hat. Das Themenspektrum von  Monica Junejas Werk spiegelt dies kontinuierlich wider: So beschäftigte sie sich etwa mit den Bildpraktiken, die zum Verstehen von Naturkatastrophen beitragen ebenso wie mit Erinnerungskulturen und der Mobilität von Objekten im Rahmen eines transkulturell erweiterten, häufig auch konfliktgeladenen Verständnisses von Kulturerbe: Transkulturelle Forschung, so könnte man sagen, denkt auch den Modus der Krise immer mit.

Hier schließt sich heute ein Gedanke an, der eigentlich zu düster für eine Festrede, und doch nicht auszublenden ist: Wir verleihen diesen Preis in einer Zeit, in der das transkulturelle Denken auf eine harte Probe gestellt wird. Ich spreche über die brutalen Terrorakte, die am 7. Oktober durch die Hamas in Israel begangen wurden; über die humanitäre Notlage, die der Ausbruch des Krieges über die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen gebracht hat; über die Manifestationen von Rassismus und nicht zuletzt über das schockierende neue Ausmaß von Antisemitismus, das sich seitdem weltweit zeigt. Ich bin überzeugt, dass wir die Tragweite dieser Ereignisse auch für unsere geisteswissenschaftliche Arbeit heute noch nicht voll ermessen können.

Eines aber steht fest: Mehr denn je brauchen wir jetzt eine Perspektive, die den Gedanken der Beunruhigung, den Zustand der offenen Frage, die Erkenntnis des Unvereinbaren und auch das Hereinbrechen des Unvorstellbaren stets schon mit sich führt. Das betrifft nicht zuletzt auch die Denkstile und Konzepte, die im eigenen Begriffsfeld flottieren: In einem Gespräch mit dem Kollegen Christian Kravagna, das inzwischen Standardlektüre für unsere Studierenden ist, betonte Monica Juneja bereits vor einigen Jahren, als sie die Prinzipien des Heidelberger Clusters „Asia and Europe in a Global Context“ schilderte: „(…) our research aims to investigate the multiple ways in which difference is negotiated within contacts and encounters, through selective appropriation, mediation, translation, re-historicizing and rereading of signs – or through a succession/coexistence of any of these. Exploring the possible range of transactions built into these dynamics works as a safeguard against polar conceptions of identity and alterity, equally against dichotomies between complete absorption and resistance, which characterize certain kinds of postcolonial studies, or more recent studies of cultural difference (…).”

Monica Junejas akademische Vita demonstriert beispielhaft, wie man zu einer solchen differenzierten Perspektive gelangt, und wie man sie multipliziert: Sie promovierte 1985 an der EHESS in Paris in Kunstgeschichte. Gastprofessuren führten sie etwa an die Emory University in Atlanta, an die Universitäten Delhi, Wien, Hannover und Zürich. Seit 2009 ist sie Professorin für Globale Kunstgeschichte am Heidelberg Centre for Transcultural Studies, seit 2017 war sie dort Co-Direktorin des eben erwähnten Exzellenzclusters “Asia and Europe in a Global Context. The Dynamics of Transculturality”. Die Bedeutung dieser Heidelberger „Schule“ der Transkulturalität für das Forschungsfeld in Deutschland und seine internationale Verflechtung ist kaum zu überschätzen. Im disziplinären Kanon der Hochschulen hat sich in den letzten Jahrzehnten zum Glück viel in dieser Richtung getan, aber immer noch begegnen zahlreiche Widerstände, strukturelle und mentalitätsgeschichtliche Hürden, wenn es darum geht, über Transkulturalität und Diversität nicht nur zu sprechen, sondern sie auch institutionell zu verankern. Monica Juneja hat transkulturelle Themen und Methoden systematisch im geisteswissenschaftlichen Feld verankert – dies stets aus einem visuell und materialkulturell geprägten Blickwinkel. Die Bedeutung ihrer Arbeit wirkt jedoch weit über die Kunstgeschichte hinaus. Ihre Professur in Heidelberg ist ein Zentrum transkultureller Forschung und Lehre, das zum Begriff geworden ist. Sie hat nun bereits mehrere akademische Generationen jüngerer WissenschaftlerInnen geprägt, die Transkulturalität im deutschsprachigen Raum und international als Methode und als Gegenstand jenseits eurozentrischer Kategorien denken.

Sie erhielt unter anderem Fellowships der Alexander von Humboldt-Stiftung, des Kunsthistorischen Instituts in Florenz sowie des Getty Research Institute. 2014 hielt sie an der Universität Zürich die Heinrich Wölfflin Lectures, aus denen ihr von der Volkswagenstiftung gefördertes Opus Magnum Can Art History Be Made Global? Meditations from the Periphery hervorging, von dem ich eingangs gesprochen habe – und damit schließt sich der Kreis dieser Laudatio, obwohl sie natürlich noch viel länger und detaillierter sein könnte, wenn man etwa all die hochkarätigen Mitgliedschaften, Herausgeberschaften und Publikationen aufzählen wollte.

Der Meyer-Struckmann-Preis zeichnet mit dieser Preisträgerin ein Lebenswerk aus, und zugleich ein dynamisches, für Gegenwart und Zukunft höchst relevantes Feld, für das Monica Juneja beispielhaft steht.

Mir bleibt an dieser Stelle zunächst noch der große Dank an die Stiftung und ihre heute anwesenden Stellvertreter - und natürlich die Gratulation an die Preisträgerin: Liebe Monica, sehr verehrte Frau Professor Juneja, ich gratuliere von ganzem Herzen zu dieser hoch verdienten Auszeichnung!

 

Prof. Dr. Eva-Maria Troelenberg

Eva-Maria Troelenberg ist seit April 2022 Professorin für Transkulturelle Studien im Kunsthistorischen Institut der Heinrich-Heine-Universität. Zuvor war sie Professorin für moderne und zeitgenössische Kunstgeschichte an der Universität Utrecht und Leiterin der Max-Planck-Forschungsgruppe „Objects in the Contact Zone – The Cross-Cultural Lives of Things“ am Kunsthistorischen Institut in Florenz.