Es ist mir eine besondere Freude und Ehre, heute ein paar Worte über Manfred Krifka sagen zu dürfen, den diesjährigen Preisträger des Meyer-Struckmann Preises der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Es handelt sich um einen Preis, der jedes Jahr zu einem anderen Themenfeld ausgeschrieben wird, in diesem Jahr zu Sprache und Kognition. Wir sind stolz darauf, Manfred Krifka mit diesem Preis auszeichnen zu dürfen.

Manfred Krifka arbeitet vor allem zur linguistischen Semantik und Pragmatik, also der Theorie sprachlicher Bedeutung. Daneben hat er aber auch einen Forschungsschwerpunkt in der Sprachtypologie, also dem Vergleich verschiedener Sprachen und deren Klassifikation, und in der linguistischen Feldforschung, unter anderem zu Bantu- und ozeanischen Sprachen. Seine Forschung hat wesentliche Beiträge zu unserem Verständnis von sprachlicher Bedeutung und ihrer kognitiven Verankerung geleistet, und man kann sagen, dass seine Arbeiten das moderne Verständnis der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke und sprachlichen Verhaltens grundlegend geändert und geprägt haben.

Manfred Krifka ist Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, Direktor des international sehr renommierten Zentrums für Allgemeine Sprachwissenschaft, und Gründungsmitglied der Berlin School of Mind and Brain. Sein wissenschaftlicher Werdegang umfasst Stationen in Konstanz, München, Tübingen, Austin Texas, Stanford, Jerusalem und, seit 2000, Berlin. Seit 2001 ist der Direktor des ZAS, das schon in der DDR bestand, nach der Wende zunächst befristet weitergeführt und unter der Leitung Manfred Krifkas dann umstrukturiert und in ein Leibnizinstitut überführt und damit verstetigt wurde. Das ZAS ist ein wesentlicher Bestandteil der internationalen linguistischen Forschungslandschaft.

Manfred Krifka hat wie kaum ein anderer die sprachwissenschaftliche Forschung sowohl in Deutschland als auch international geprägt. Er ist jemand, der in seiner Forschung oft neue, unkonventionelle Wege beschritten hat, und der sich durch eine hohe kreative Unabhängigkeit, intellektuelle Eigenständigkeit, und durch großes Durchhaltevermögen auszeichnet. Gleichzeitig gelingt es ihm, andere für seine Forschungsthemen und Ideen zu begeistern; es ist ihm wichtig, Netzwerke und Strukturen aufzubauen und zu pflegen, und sein Wissen zu teilen. Er ist nicht nur ein begnadeter Wissenschaftler, sondern auch ein engagierter Mentor.

Manfred Krifka hat im Laufe seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zu verschiedenen Themen grundlegende Beiträge geleistet, die heute zu den »Klassikern« der Sprachwissenschaft zählen, sozusagen Werke, die jeder Linguist auf seinem Bücherregal stehen haben sollte. So hat er beispielsweise bahnbrechende Erkenntnisse gewonnen hinsichtlich der Art, wie Sprecher Ereignisse konzeptuell repräsentieren und versprachlichen. Insbesondere hat er erkannt, dass es starke Parallelen gibt zwischen der Wahrnehmung und Beschreibung der Struktur von Objekten, beschrieben durch Nomen, und der von Ereignissen, beschrieben von Verben. Ein Beispiel: Unter dem Wort »Weihnachtskekse« stellt man sich eine Menge kleiner Gebäckstücke vor, sicherlich mehrere, aber es ist unklar, wie viele, und man kann einen Keks nach dem anderen essen. Eine ähnliche Struktur (eine nicht klar begrenzte Menge von mehreren eindeutig identifizierbaren Einzelelementen) haben wir z.B. auch beisogenannten iterativen Ereignissen, beispielsweise dem »Klopfen« an eine Tür. Dagegen ist z.B. so etwas wie »Mehl« oder »Zucker« zwar auch nicht klar abgegrenzt, es gibt aber keine eindeutig identifizierbaren Einzelelemente, es sei denn, man portioniert. So ähnlich ist es auch mit Ereignissen wie »Laufen« oder »Schwimmen«. Manfred Krifka hat diese Parallelen erkannt und zu einer Theorie ausgearbeitet, die ein ganz neues Licht auf unsere Konzeption von Ereignissen und ihrer Struktur geworfen hat, und die es erlaubte, die möglichen Verwendungen von Verben und Nomen besser zu verstehen und zu beschreiben.
Dies war nur ein Beispiel für die bedeutenden und richtungsweisenden Ergebnisse aus der Forschung Manfred Krifkas, weitere wichtige Beiträge sind z.B. im Bereich der Fokustheorie entstanden, also der Forschung dazu, wie die informationsstrukturelle Beschaffenheit einer Äußerung, also die Frage, was im Diskurskontext schon bekannt ist und was zu einem gegebenen Zeitpunkt erst neu eingeführt wird, mit möglichen Realisierungen in der Versprachlichung zusammenhängt.

Neben vielen Forschungsprojekten im Bereich Semantik und Pragmatik gilt ein starkes Forschungsinteresse Krifkas auch der Untersuchung und Beschreibung unterschiedlicher Sprachen, insbesondere auch der Dokumentation von Sprachen, zu denen es noch keinerlei Material gibt, weil sie nur mündlich und nur im Rahmen einer kleinen Gruppe von Sprechern verwendet werden, die aber aus sprachwissenschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Sicht extrem spannende Untersuchungsgegenstände sind. Es gibt zurzeit noch etwa 6000–7000 gesprochene Sprachen, und diese leider abnehmende sprachliche Diversität (die Anzahl gesprochener Sprachen könnte sich nach Schätzungen bis Ende des Jahrhunderts halbieren) ist auch ein Ausdruck kultureller Diversität; Sprachdokumentation ist daher nicht nur aus linguistischer Sicht wichtig.

Ich möchte hier insbesondere Manfred Krifkas Sprachdokumentationsprojekte im Südpazifik nennen, auf Inseln des Vanuatu-Archipels. Die Durchführung derartiger Projekte erfordert viele Fähigkeiten, die deutlich über das Handwerkszeug des Linguisten hinaus gehen, da neben sprachwissenschaftlichen Aspekten auch kulturwissenschaftliche und sprachsoziologische Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen. Manfred Krifka ist es gelungen, ein Verhältnis von Respekt, Vertrauen und Freundschaft mit den Sprechern vor Ort aufzubauen, das sich in anhaltenden Beziehungen und gegenseitigen Besuchen fortsetzt. Neben der sprachlichen Dokumentation mussten im Übrigen auch ganz anders geartete Herausforderungen gemeistert werden, z.B. auch mal ein Schaltkreis für Solarplatten gelegt werden. Selbst diese Aufgaben hat Manfred Krifka engagiert und kenntnisreich erledigt.

Manfred Krifka ist ein wahrhaft bedeutender Sprachwissenschaftler, der die Linguistik durch seine Arbeiten nachhaltig beeinflusst und geprägt hat. Es gibt kaum einen Bereich der Sprachwissenschaft, den Manfred Krifka in seinem umfangreichen Oeuvre nicht berührt und fruchtbar vorangetrieben hätte. Seine Forschung zeichnet sich durch hohe Innovativität und Originalität aus. Gleichzeitig ist er ein Wissenschaftler, der Ideen teilt und weitergibt, der andere fördert, und der sich in der wissenschaftlichen Community engagiert. Manfred Krifka ist eine großartige wissenschaftliche Persönlichkeit mit Vorbildcharakter, und ich freue mich sehr, dass er heute mit dem Meyer-Struckmann Preis geehrt wird.

Porträt von Prof. Dr. Laura Kallmeyer

Prof. Dr. Laura Kallmeyer

Seit Oktober 2010 Professorin für Computerlinguistik an der Heinrich‐Heine‐Universität Düsseldorf. Nach einem Studium der Mathematik und Informatik Promotion in Computerlinguistik (1998) an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Es folgten Postdoc‐Aufenthalte an der University of Pennsylvania und der Université Paris 7, und die Leitung einer Nachwuchsgruppe an der Universität Tübingen. Habilitation 2006 in Allgemeiner Sprachwissenschaft und Computerlinguistik. Laura Kallmeyer war 2015‐2020 Sprecherin eines Sonderforschungsbereiches, leitet zur Zeit ein vom European Research Council gefördertes Projekt, und ist Mitglied des Senats der Deutschen Forschungsgemeinschaft.