Liebe Hochschulrätin Bauschke-Hartung, liebe Ricarda!

Lieber Prorektor Marschall, lieber Stefan!

Lieber Kanzler Martin Goch!

Lieber Herr Knoefel, Vorsitzender des Senats der HHU!

Lieber Herr Grosse-Brockhoff, Ehrensenator der HHU!

Liebe Frau Vervoorts Gleichstellungsbeauftragte der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf,

Lieber Herr Bernhard Schlink, Mitglied im Stiftungsrat der Meyer Struckmann Stiftung

Lieber Herr Kalisch, Prorektor der Robert-Schuhmann-Hochschule Düsseldorf

Sehr geehrter Herr Gielisch, Honorarkonsul von Jordanien

Liebe Frau Kühnen, liebe Frau Wüstemann von der Gerda-Henkel-Stiftung!

Lieber Timo Skrandies, Prodekan der Philosophischen Fakultät

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Und vor allem: Sehr geehrter Herr Stolleis! Sehr geehrte Frau Stolleis!

Ich muss zugeben, ich bin kein großer Freund solcher Anredelitaneien. Sie haben nicht nur die Tendenz ermüdend zu wirken (und was wäre schlimmer für eine Rede als die Zuhörenden zu ermüden), sondern haben ebenso einen tendenziell exkludierenden Charakter, weil sie all denjenigen, die ich nun nicht explizit angesprochen habe, suggeriert, sie seien von geringerer Bedeutung als die Genannten. Und nichts läge mir ferner!

Heute aber bin ich froh, mein Grußwort so einleiten zu können, denn die Anrede hilft mir – in all ihrer hierarchischen Verkomplizierung, die mir hoffentlich halbwegs fehlerfrei gelungen ist – überzuleiten zur Themen- und Arbeitswelt unseres Preisträgers. Denn wenn sie eine der jüngeren Veröffentlichungen von Herrn Stolleis aufschlagen, das 2015 erschienene Buch „Margarethe und der Mönch. Rechtgeschichte in Geschichten“, dann finden Sie dort ein Kapitel namens „Der Streit um den Vorrang, oder: Der Wasunger Krieg“. Darin beschäftigt sich Herr Stolleis mit der Zeremonialwissenschaft – einem inzwischen ausgestorbenen Wissenschaftszweig, der vor allem im 17. und 18. Jahrhundert in Europa viel Aufmerksamkeit erfuhr und uns Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts inzwischen reichlich abstrus anmuten muss. In dieser Zeremonialwissenschaft wurden genaue Regeln entworfen, wer beim Einzug eines Herrschers in welcher Reihenfolge und wo zu stehen oder zu gehen hatte, wer welchen Platz in den Kirchenbänken einnehmen durfte oder – ganz wichtig – wie die Tischordnung bei festlichen Gelegenheiten aussehen musste. Das war nicht nur ein schwieriges, sondern auch ein sehr umkämpftes gesellschaftliches Terrain. Herr Stolleis zitiert den Juristen Johann Christian Lüning, und zwar aus dessen „Theatrum ceremoniale historico-politicum, oder Historisch- und politischer Schauplatz Aller Ceremonien“ aus dem Jahr 1719. Darin heißt es: „Ein jeder solcher solenner Actus hat sein besonderes Reglement, doch stehet es sodann in eines jeden grossen Herren Willkühr demselben nachzufolgen oder nicht, auch die Solennitäten bey solchen Actibus propre oder geringe, nach Bewandtniß der Umstände, anzuordnen.“

Nun gehören barocke Merkwürdigkeiten von Tischordnungsreglements nicht zu den Kerninteressensgebieten von Herrn Stolleis. Aber er kennzeichnet die Zeremonialwissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts als eine Form der Regelung, der Zivilisierung und damit auch der Befriedung in einem Europa, das sich noch bis vor Kurzem konfessionell bis aufs Blut bekämpft hatte und nun nach Möglichkeiten suchte, um dieser Dauerspirale von Hass und Gewalt zu entkommen. Strenge Vorschriften waren dafür eine Möglichkeit. Strenge Zeremonien regelten dann aber auch das soziale Zusammenleben, festigten Hierarchien oder ermöglichten soziale Aufstiegsdynamiken, gerade dann, wenn – wie bei Lüning beschrieben – „es sodann in eines jeden grossen Herren Willkühr stehet, demselben nachzufolgen oder nicht“ – Regeln also auch mal zu verändern.

Was geschah, wenn dieses Zeremoniell versagte, können Sie im benannten Kapitel über den Wasunger Krieg nachlesen, einem Miniaturkrieg mit einem Toten, der 1747/48 im sächsischen Meiningen die Öffentlichkeit beschäftigte.

Dass wir solche zeremoniellen Reglements immer noch haben und dass sie bei diversen gesellschaftlichen Anlässen immer noch ihren Dienst tun, können Sie nicht nur anhand der Anrede zu meinem Grußwort erkennen.

Warum erzähle ich Ihnen hier aber etwas über Zeremonialwissenschaften des 17. und 18. Jahrhunderts? Das ist doch nun nicht das Thema, für das Michael Stolleis hier ausgezeichnet werden soll!

Nun, es lassen sich drei Gründe ausmachen, weshalb eine solche Hinführung durchaus passend sein mag.

Den ersten Grund habe ich bereits benannt: Michael Stolleis gelingt es in seinen Arbeiten immer wieder, vergangene und gegenwärtige Zeiten miteinander korrespondieren zu lassen, nicht einem verstaubten Antiquarianismus zu frönen, sondern im Wege der historischen Betrachtung Nähe über den Umweg der Ferne herzustellen. Wir sehen uns selbst in den Rechtsgeschichten, die Michael Stolleis sowohl im Kleinen (wie im Wasunger Krieg), aber auch im Großen vor uns ausbreitet, zum Beispiel in seinem vierbändigen Opus Magnum, der „Geschichte des Öffentlichen Rechts in Deutschland“.

Ein zweiter Grund, um mit der Zeremonialwissenschaft zu beginnen, mag in der Aufdeckung meiner eigenen Unfähigkeit liegen, auch nur eine halbwegs korrekte Anrede und Titulatur zustande zu bringen. Denn anstatt unseren Preisträger einfach nur mit Vor- und Nachnamen vorzustellen, hätte ich zeremonialwissenschaftlich natürlich ganz anders ansetzen müssen. Ich hätte eigentlich sagen müssen: Sehr geehrter Herr Winzergehilfe, Professor, Doktor, Max-Planck-Instituts-Direktor, vierfach mit Ehrendoktoraten Gezierter, Leibniz- und Balzan-Preisträger, sehr geehrtes Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Akademien, sehr geehrter Träger des Ordens Pour le mérite und Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern – und noch einige mehr – Michael Stolleis! So hätte es halbwegs korrekt heißen müssen.

Diese Titulatur gibt noch immer nicht seine Lebensleitung wieder, aber umreißt in Ansätzen die Spuren, die er im Lauf seiner wissenschaftlichen Laufbahn hinterlassen hat.

Für alle, die es noch nicht wussten, hier einige der beruflichen Stationen von Herrn Stolleis. Geboren am 20. Juli 1941 in Ludwigshafen/Rhein, machte Herr Stolleis 1960 Abitur und schloss eine Lehre im Weinbau an (1961 Winzergehilfenprüfung). Er studierte anschließend Rechtswissenschaft in Heidelberg und Würzburg, im Zweitstudium Germanistik und Kunstgeschichte. 1965 folgte das erste juristische Staatsexamen in Würzburg, 1969 das zweite in München. 1967 hatte er seine Promotion abgeschlossen („Staatsraison, Recht und Moral in philosophischen Texten des späten 18. Jahrhunderts“, 1972). Zwischen 1969 und 1973 schrieb er an seiner Münchener Habilitation („Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht“, Berlin 1974). Zum Wintersemester 1974/75 (noch nicht einmal Mitte 30!) wurde er auf einen Lehrstuhl für öffentliches Recht, Neuere Rechtsgeschichte und Kirchenrecht berufen nach Frankfurt a.M.

(Wäre Gert Kaiser heute hier, hätte er sicher zum Besten gegeben, wie er als Rektor der Universität versuchte, Herrn Stolleis nach Düsseldorf zu locken – ein Ruf, der leider nicht erhört wurde. Aber wir sind nicht nachtragend…)

1991 war dann ein sicherlich sehr wichtiges Jahr, denn in diesem Jahr erhielt Stolleis als erster Rechtshistoriker den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der DFG. Und er wurde zu einem der Direktoren am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte berufen. Diesen Posten bekleidete er bis 2009. Als Direktor des Frankfurter MPI wurde Stolleis zu einem der international angesehensten Rechtshistoriker. Das schlug sich unter anderem in der Verleihung des Balzan-Preises im Jahr 2000 nieder (einer Art Parallele zum Nobelpreis, bei dem aber auch die Geistes- und Kulturwissenschaften sowie die Künste geehrt werden; Preisgeld 750.000 Franken).

Der Ruf eines Gelehrten von wahrhaft europäischem Format manifestiert sich dann nicht zuletzt in Ehrendoktoraten, die ihm verliehen wurden von den Universitäten in Lund, Toulouse, Padua und Helsinki, ebenso in den Mitgliedschaften in den wissenschaftlichen Akademien Berlin, Göttingen, Mainz sowie den Nationalakademien „Leopoldina“ Halle, in Helsinki und in Kopenhagen sowie die Ehrenmitgliedschaft der American Society for Legal History.

Der dritte Grund, weshalb der Hinweis auf die Zeremonialwissenschaft nicht ganz so verfehlt sein mag, wie es beim ersten Zuhören scheint, liegt im Versuch, die ungeheure thematische Fülle zumindest anzudeuten (und viel mehr als eine Andeutung kann es kaum sein!), durch die sich die Arbeit von Michael Stolleis auszeichnet. Denn in dieser Fülle hat sogar die Zeremonialwissenschaft Platz!

Aber, wie schon gesagt, das ist selbstredend nicht das wesentliche Arbeitsgebiet unseres Preisträgers. Rechtsgeschichte und öffentliches Recht – damit sind schon einmal zwei wesentliche Säulen benannt. Tatsächlich gehen die Aktivitäten und Interessen unseres Preisträgers aber weit darüber hinaus. Er widmete sich im juristischen Kontext genauso dem Sozialrecht und dem Kirchenrecht.

Aber auch angesichts dieses Engagements für das geltende Recht blieb Stolleis – so würde ich sagen – in erster Linie Rechtshistoriker. Beeinflusst war er vor allem durch seinen schwedischen Lehrer Sten Gagnér, nicht nur in methodischer Hinsicht (auch zu Fragen von Theorie und Methode der Rechtsgeschichte hat er sich geäußert), sondern auch durch das daraus entstandene dauerhafte Interesse an der Rechtsgeschichte in den nordischen Ländern.

Auch bei den nordischen Ländern blieb es dann aber nicht. Vielmehr deutet dieser Bezug nach Skandinavien an, wie sehr sich die Arbeiten unseres Preisträgers von Anfang an und konsequenterweise als europäische verstanden haben – und jetzt komme ich endlich zu dem Punkt im Schaffen von Herrn Stolleis, auf den Sie wohl schon die ganze Zeit gewartet haben (anstelle der Zeremonialwissenschaft) – auf die europäische Dimension. Denn sowohl in seinen Themen wie auch in seiner Ausstrahlung erweist sich das Werk von Herrn Stolleis als ein wahrlich europäisches.

Neben der Rechtsgeschichte Skandinaviens mag auch der Name des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte diesen Anspruch bereits untermauern.

Aber es sind dann vor allem die Forschungsprojekte und großen Themenfelder, die Herrn Stolleis zu einem würdigen Träger des Meyer-Struckmann-Preises für geistes- und sozialwissenschaftliche Europaforschung machen.

So hat er 1991 einen Teil der Fördersumme des DFG-Leibniz-Preises der Unterstützung der Rechtsgeschichte in den Ländern der sich gerade auflösenden DDR gewidmet. Ein weiterer Teil floss in ein europäisches Großprojekt, der Erfassung der „Policeyordnungen“ der frühen Neuzeit (1500-1800) in einem eigenen Repertorium. Das inzwischen in rund 20 Bänden abgeschlossene Werk, das auch Schweden, Dänemark und die Schweiz umfasst, gilt als Pionierarbeit der Erschließung von Quellen für Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.

Es sind dann aber nicht nur die europäischen Forschungsthemen, denen sich Michael Stolleis widmet, es ist auch die europäische, ja weltweite Ausstrahlung seiner Arbeiten, die ihn zu einem Preisträger von ganz besonderem Format macht. Seine Bücher, insbesondere seine grundlegenden Darstellungen zur Geschichte des öffentlichen Rechts, sind übersetzt worden ins Italienische, Französische, Englische, Chinesische, Russische, Spanische, Portugiesische, Türkische und Koreanische – und ich habe sicherlich die eine oder andere Sprache übersehen.

Last not least ist es das auch ganz aktuelle und politische europäische Engagement, das Michael Stolleis mit seinen Forschungsthemen und seinen rechtshistorischen Arbeiten verbindet. Das dauerhafte Engagement für die Erforschung der Rechtsgeschichte Europas als Fundament der heutigen Entwicklung findet sich bei ihm regelmäßig – auch in den zahlreichen Artikeln und Medienbeiträgen (immer wieder in der FAZ), mit denen er eine breite Öffentlichkeit erreicht. Immer wieder hat er in Reden und Artikeln betont, wie tief das heutige europäische „Verfassungsrecht“ in der Geschichte des politischen Denkens und der Verfassungsgeschichte verankert ist und wie wichtig seine Erforschung ist, um akuten Gefährdungen zu begegnen. In seinen zahlreichen Büchern, über 300 Aufsätzen und fast 400 Rezensionen hat er immer die Eigenheiten und Gemeinsamkeiten des europäischen Kontinents in den Blick genommen.

Er bewegt sich aber nicht nur mit scheinbarer Mühelosigkeit durch die verschiedenen Länder und Kulturen, sondern ebenso durch die Zeiten und Epochen. Denn spielt auf der einen Seite die Frühe Neuzeit eine durchaus beständige Rolle, so hat er sich schon früh in seiner wissenschaftlichen Karriere mit den Aus- und Nachwirkungen des Nationalsozialismus beschäftigt und war beteiligt an der Etablierung einer „Juristischen Zeitgeschichte“.

Was man aber im Schriftenverzeichnis nicht erkennen kann, ist seine spezielle sprachliche Begabung und seine Verbindung zur Literatur. Dieses literarische Interesse und diese literarische Begabung sind auch anderen nicht verborgen geblieben. So ist er – als Jurist nicht unbedingt selbstverständlich – Mitglied in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (Darmstadt).

Mit anderen Worten: Ein rundum würdiger Träger des Meyer-Struckmann-Preises!

Lassen Sie mich zum Abschluss Dank sagen:

Ich möchte der Meyer-Struckmann-Stiftung ganz herzlich dafür danken, dass wir als Philosophische Fakultät den nach Dr. Fritz Meyer-Struckmann benannten Preis vergeben dürfen.

Und danken möchte ich Martina Huiras für die Organisation der Preisverleihung, die – wie jedes Jahr – wirklich ganz herausragend gelungen ist.

Und danken möchte ich auch Ihnen, sehr geehrter Herr Stolleis, dass Sie uns heute die Ehre geben – und möchte Ihnen ganz herzlich gratulieren zur Verleihung des Meyer-Struckmann-Preises 2019.

Prof. Dr. Achim Landwehr

Achim Landwehr, geb. 1968, Studium der Geschichte, Germanistik und Rechtswissenschaft 1990–1995 an den Universitäten Augsburg, Freiburg, Basel und Dublin. 1996 bis 1998 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main. 1999 Promotion in Freiburg im Breisgau 2000 bis 2003 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg. 2003 Ruf auf eine Juniorprofessur für Europastudien an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. 2005 Habilitation. 2008 Ruf auf die Professur für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seit 2019 Dekan der Philosophischen Fakultät der HHU.