Meine sehr verehrten Damen und Herren,
geehrte Gäste,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

als Dekan der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf darf ich Sie zur diesjährigen – der zwölften – Verleihung des Meyer-Struckmann-Preises für herausragende geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung hier im Haus der Universität willkommen heißen.

Herzlich begrüßen möchte ich:

den Oberbürgermeister unserer Stadt, Herrn Thomas Geisel
den Vorsitzenden der Meyer-Struckmann-Stiftung,
Herrn Altrektor Prof. Dr. Dres. h.c. Kaiser
sowie als Mitglieder des Stiftungsvorstandes Herrn Prof. Dr. Schlink, Herrn Dr. Rometsch und Herrn Dr. Apenbrink,
die Rektorin unserer Universität, Frau Prof. Dr. Steinbeck,
die Prorektorin für Internationales, Frau Prof. Dr. von Hülsen-Esch,
als Gleichstellungsbeauftragte der HHU Frau Dr. Vervoorts,
für den kürzlich neu gewählten Hochschulrat der HHU Frau Prof. Dr. Bauschke-Hartung,
für den Senat der HHU den Senatsvorsitzenden Herrn Prof. Dr. Knoefel, seine Stellvertreterin, Frau PD Dr. Dorgeloh und Herrn Prof. Dr. Bleckmann,
sowie – besonders herzlich – unsere Ehrensenatoren Frau Dr. Betz und Herrn Große-Brockhoff.

Ebenfalls sehr herzlich begrüße ich

die Altdekane unserer Fakultät, sofern sie nicht schon in anderer Funktion angesprochen wurden, Prof. Dr. Süssmuth und
Prof. Dr. Witte,
den Studiendekan der Philosophischen Fakultät, Herrn Prof. Dr. Brall-Tuchel und den designierten Prodekan, Herrn Prof. Dr. Landwehr,
Herrn Tacer, Ratsherr und Kulturausschussmitglied der Stadt Düsseldorf,
sowie Herrn Prorektor Prof. Dr. Dr. Kalisch als Vertreter der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf.

Ganz besonders herzlich und vor allem begrüße ich aber unseren diesjährigen Preisträger,

Herrn Prof. Dr. Norbert Finzsch
und Seine Gattin, Frau Prof. Dr. Michaela Hampf.

Die Entscheidung des Preiskomitees, den Meyer-Struckmann-Preis im Jahre 2017 an einen Wissenschaftler mit dem Forschungsschwerpunkt Nordamerikastudien zu verleihen, bedeutet zwangsläufig, die Krise der heutigen Vereinigten Staaten in den Blick zu nehmen und nach der Rolle der Wissenschaft angesichts der dort in vielerlei Facetten zu beobachtenden, ausgesprochen wissenschaftsfeindlichen Entwicklungen zu fragen.

Wie kann es sein, dass in einem Land, das nach wie vor über eine beachtliche intellektuelle Tradition, herausragende Universitäten und Bibliotheken sowie brillante Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verfügt, viele Menschen der intellektuellen Elite zunehmend misstrauisch gegenüber stehen und eine Regierung gewählt haben, die nicht nur die staatliche Unterstützung der Wissenschaft radikal kürzt, sondern auch die Ergebnisse der Forschung, so zum Beispiel die Mahnungen der Klimaforschung, systematisch ignoriert?

Unser diesjähriger Preisträger hat diese Paradoxie, die in der heutigen US-Gesellschaft vielleicht ihren vorläufigen Höhepunkt findet, aber keineswegs neu oder singulär ist, seit Beginn seiner Studien in den Fokus seiner akademischen Praxis gestellt. Damit gehört Norbert Finzsch aktuell zu den relativ wenigen deutschen Historikerinnen und Historikern, die sich vorwiegend mit der US-amerikanischen Geschichte beschäftigen und sich vornehmen, das – wie er es selbst einmal genannt hat – Rätsel der US-amerikanischen Demokratie zu erklären. Dabei treiben ihn sowohl Bewunderung für dieses Land an als auch Skepsis gegenüber den vielen Ungerechtigkeiten, die die US-amerikanische Demokratie begleiten.

Norbert Finzschs akademischer Weg begann wenige Kilometer rheinaufwärts. Er studierte Germanistik und Geschichte an der Universität zu Köln, wo er 1977 sein erstes Staatsexamen ablegte. Seine akademische Ausbildung führte ihn aber unter anderem auch nach Berkeley, London und Paris. Nach der Promotion 1980 und der Habilitation 1988 wurde er 1990 zum stellvertretenden Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Washington D.C. berufen. 1992 folgte die Berufung auf den Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Universität Hamburg und 2001 der Ruf auf den Lehrstuhl für Anglo-Amerikanische Geschichte der Universität zu Köln, wo er von 2005 bis 2007 zugleich das Amt des Prorektors für Lehre, Studium und Studienreform innehatte. Sein akademischer Werdegang führte ihn zugleich immer wieder und in verschiedensten Funktionen zurück nach Berkeley, wo er zuletzt 2012 EU Distinguished Visiting Scholar am Institute of European Studies war.

In seiner wissenschaftlichen Arbeit hat Norbert Finzsch sich zeitlebens unterdrückten, ausgegrenzten und diskriminierten Gruppen gewidmet: Arbeiterinnen und Arbeitern; Strafgefangenen; African Americans; Chinese Americans; Frauen; Schwulen, Lesben, Queers und Transgenders sowie indigenen kolonisierten Gruppen. Als Wissenschaftler, der von der marxistischen Theorie, von der foucaultschen Diskursanalyse sowie von queerer Kritik beeinflusst ist, stellt er dabei die Materialität des Körpers ins Zentrum seiner Forschung. Nicht zuletzt aufgrund dieses außergewöhnlichen, mit Exzellenz gepaarten Profils ist er in besonderer Weise über die Grenzen seines Faches hinaus anschlussfähig. Dass seine Arbeiten, Einsichten und Gedanken in der kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung, aber auch in nichtwissenschaftlichen öffentlichen Diskursen immer wieder große Beachtung finden, ist daher wenig verwunderlich.

Der Nordamerikabezug seines Forschungsinteresses, die Besonderheit des intellektuellen Profils und die erkenntnisweitende Originalität seines Denkens ließen sich in seinem Oeuvre schon früh erkennen. Bereits in seiner Dissertation zum Thema der Goldgräber Kaliforniens widmete er sich den – ich zitiere – “Opfern des Traumes, den man den American Dream nennt, Menschen, die meinten, im El Dorado zu Millionären werden zu können, wenn sich zu ihrer Tüchtigkeit und Durchsetzungsfähigkeit ein wenig Glück gesellte”. In dieser Studie, die die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des kalifornischen Goldrauschs im Fokus hat, bediente sich Finzsch als einer der ersten deutschen Historiker cliometrischer Methoden, das heißt, er setzte Computerprogramme ein, um eine Objektivierung der Geschichtsschreibung zu versuchen.

Seine Habilitationsschrift zu Obrigkeit und Unterschichten nimmt wieder eine bislang unsichtbare Gruppe in den Blick, wenn Finzsch sich in einem Zusammenspiel von cliometrischer Methode und diskursanalytischen Ansätzen der Geschichte der rheinischen Unterschichten gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts widmet. Diese diskursanalytischen Ansätze leiten auch seine wichtigen komparatistischen Projekte, die er mit dem Deutschen Historischen Institut in den 1990er Jahren durchgeführt hat: „Identity and Intolerance“ sowie „Institutions of Confinement“, zwei Projekte, die den politischen Anspruch seiner Forschung belegen.

„Von Benin nach Baltimore“ aus dem Jahre 1999 gilt als die erste deutschsprachige Geschichte der Afroamerikaner. In „Konsolidierung und Dissenz. Nordamerika von 1800 bis 1865“ beschäftigt sich Norbert Finzsch mit zwei Leitbegriffen, deren Zusammenspiel bestimmt, was er als die Eigenart amerikanischer Geschichte bezeichnet. Seine neuesten Forschungen zur Geschichte Australiens und zum „Settler Imperialism“ zwingen dazu, koloniale Ordnungen der „Anglosphere“ neu zu denken. Dadurch tragen sie entscheidend zur Paradigmenentwicklung bei. All diese Arbeiten sind durch eine ausdrückliche Auseinandersetzung nicht nur mit dem Gegenstand, sondern auch mit geschichtstheoretischen Überlegungen gekennzeichnet. In mehreren Publikationen setzt er sich kritisch mit Quellenmaterialien auseinander, deren Status in den Geschichtswissenschaften bis dahin nicht hinterfragt wurde und deren Einordung durch seine Rekontextualisierung neu gedacht werden muss.

In seinen aktuellen Arbeiten demonstriert Norbert Finzsch den an sich selbst gestellten Anspruch, sich an Diskursen um Herausforderungen zu beteiligen, die die Gesellschaft prägen und die die deutsche Geschichtspraxis noch nicht im selben Maße aufgegriffen hat wie andere Fach- und Wissenschaftskulturen. Hier sind vor allem seine neuesten Projekte und Publikationen im feministischen Kontext und im Zusammenhang der Queer Theory zu nennen. Seine wissenschaftliche Tätigkeit geht hier mit einer Auffassung der Lehre einher, die sehr hohe Ansprüche an die Studierenden stellt, eben weil er junge Menschen, deren Perspektiven, Fragen und Anregungen ernst nimmt.

Mit Norbert Finzsch zeichnen die Philosophische Fakultät und die Meyer-Struckmann-Stiftung einen Wissenschaftler aus, der unermüdlich zwischen unterschiedlichen Gesellschaftskulturen sowie Wissenschaftskulturen zu vermitteln sucht. Seine Kenntnisse deutscher Denkpositionen ermöglichen es ihm, die Eigenarten Amerikas so zu erklären, dass das deutsche Publikum sich mit seinen eigenen Vorurteilen über die Vereinigten Staaten produktiv auseinandersetzt und neues Verständnis gewinnt. Seine Auseinandersetzung mit amerikanischer Geschichte, Kultur, Politik und Gesellschaft ist zugleich eine Auseinandersetzung mit Geschichte, Kultur, Politik und Gesellschaft an sich und hilft so ganz grundsätzlich das empirische Wissen und das theoretische Verständnis der damit verwobenen Konzepte und Praxen zu erweitern. Dass er sich dabei immer wieder auch pointiert, präzise und klar verständlich in öffentlichen Diskursen zu Wort meldet, macht ihn zugleich zu einem wichtigen Streiter gegen die eingangs erwähnten, wissenschaftsfeindlichen und damit antiaufklärerischen Entwicklungen. Entwicklungen, die zwar im heutigen US-Amerika ihr vielleicht prototypisches Beispiel finden, die in Zeiten gefühlter Wirklichkeiten, alternativer Fakten, aggressiv vorgetragener Biologismen, tribalistischer Bestrebungen und identitärer Bewegungen aber keineswegs auf den Norden des amerikanischen Doppelkontinents beschränkt sind.

Prof. Dr. Ulrich Rosar

Dekan der Philosophischen Fakultät. Studium der Soziologie, der Politikwissenschaft und der Psychologie 1991-1995 in Düsseldorf, Promotion 2001 in Bamberg und Habilitation 2009 in Köln. 2010 Berufung auf den Lehrstuhl für Soziologie, insbesondere Methoden der empirischen Sozialforschung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Besondere Arbeitsschwerpunkte sind die Vorurteils-und Diskriminierungsforschung sowie die Politische Soziologie. Von November 2014 bis Februar 2015 Prodekan und seit März 2015 Dekan der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität.