Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Frau Vorsitzende des Hochschulrats, sehr geehrte Frau Rektorin,
sehr geehrte Frau Prorektorin v. Hülsen-Esch, sehr geehrter Herr Prorektor Kalisch.

Meine Damen und Herren,
seien Sie ganz herzlich willkommen zu der diesjährigen Verleihung des Meyer-Struckmann-Preises der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität. Ich freue mich, neben dem Vorsitzenden der Meyer-Struckmann-Stiftung, Herrn Altrektor Prof. Dr. Kaiser, auch weitere Mitglieder des Vorstandes der Stiftung begrüßen zu können, nämlich Herrn Rometsch und Herrn Prof. Dr. Schlink. Durch die Großzügigkeit Ihrer Stiftung ist es der Philosophischen Fakultät möglich, seit zehn Jahren einen der am besten dotierten geisteswissenschaftlichen Preise in der bundesrepublikanischen Universitätslandschaft zu verleihen. Der Preis unterstreicht in nachdrücklicher Weise, was geisteswissenschaftliche Forschung bedeutet. Indem er eine Forscherin wie Frau Wolf oder – in der übrigen Zahl der Fälle – Forscher für ein Lebenswerk geehrt hat, hält er fest, dass die entscheidenden Impulse trotz der mit der Drittmittelforschung einhergehenden Kollektivierungsvorstellungen immer noch von einzelnen Köpfen ausgehen, dass die individuelle Wissenschaftlerbiographie, das geistige Abenteuer einer ausdauernd betriebenen Erkundung nach wie vor die eigentliche Grundlage der Geisteswissenschaften ist, die aus einer Summe solcher Lebenswerke besteht. Der Preis bemüht sich darüber hinaus, zu demonstrieren, wie befruchtend hier gerade die Grenzüberschreitung und die Synthese mehrerer nationaler Forschungskulturen sein können. Ich verweise hier auf die Preise für Shmuel Feiner aus Israel mit seinen natürlich auf deutsche Forschung gestützten Arbeiten zur jüdischen Kultur, auf den deutschen Romanisten Harald Weinrich, der seine akademische Karriere mit einer französischen Professur am Collège de France abgeschlossen hat, auf unseren Preisträger des letzten Jahres Sir Ian Kershaw, der deutsche Geschichtsschreibung vollkommen rezipiert und gleichwohl seinen Gegenstand auch mit einem britischen Blick von außen erfasst hat. Unser heutiger Preisträger, Prof. Alain Schnapp, der langjährig als klassischer Archäologe an der Sorbonne tätig war und unter anderem – neben vielen anderen Gastaufenthalten in anderen Ländern – auch Gast in deutschen Wissenschaftsinstitutionen, wie dem Wissenschaftskolleg in Berlin oder zuletzt letztes Jahr im Internationalen Kolleg der Morphomata Köln war, fügt sich also ganz in dieses internationale Profil unseres Preises.

Schließlich soll der Preis natürlich auch, wie am besten in der kleinen Bibliothek bisheriger Preisträger deutlich wird, an Einzelbeispielen verschiedener Lebenswerke die Breite und Variation geisteswissenschaftlicher Forschung verdeutlichen, indem jedes Jahr der Preis für eine neue Thematik ausgeschrieben wird. Bisher sind wir dabei dem Usus verpflichtet gewesen, Themenfelder zu wählen, die auch an unserer Fakultät vertreten sind. Aber eine Philosophische Fakultät kann aus der Breite geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung immer nur bestimmte Facetten besetzen. So haben wir beispielsweise einen Schwerpunkt „Modernes Japan“, aber keine entsprechenden Lehrstühle für China oder Korea. Eine Fakultät definiert sich also frei nach Derrida nicht nur durch das, was sie ist, sondern auch dadurch, was sie nicht ist.

Zu einer guten Marke gehört es, wie ich kürzlich in einem Vortrag gehört habe, durchaus, dass bestimmte Elemente dieser Marke erneuert und modifiziert werden, damit man den Eindruck hat, dass die Marke lebt und sich entwickelt. Insofern kann die Innovation für den gut eingeführten Meyer-Struckmann-Preis begründet werden, dass in diesem Jahr nun ein Fach herausgehoben wird, dass an unserer Fakultät nicht vertreten ist, nämlich die Klassische Archäologie. Dafür gibt es einige Gründe. Wir haben an unserer Fakultät zumindest affine Fächer, nämlich die Kunstgeschichte, die mit dem Mittelalter einsetzt, die antiken Voraussetzungen beachtet, die Alte Geschichte, die ich selbst vertrete und die mit der numismatischen Sammlung ein der Archäologie sehr nahes Feld bearbeitet, sowie die Klassische Philologie, die mit einem gräzistischen und latinistischem Lehrstuhl präsent ist. Die also durchaus vorhandene antike Perspektive an unserer Universität verdient, wenn ich das kurz vor meinem Ausscheiden als Dekan sagen darf, Aufmerksamkeit und war nach der Berücksichtigung des Mittelalters im vorletzten Jahr gewissermaßen für die Preisverleihung fällig. Klassische Philologie und Alte Geschichte haben sich aber dann darauf geeinigt, statt einen Vertreter der eigenen Richtung zu ehren, einen denkwürdigen Kompromiss nicht auf Kosten eines Dritten, sondern zugunsten eines Dritten zu schließen und den diesjährigen Preis für die Klassische Archäologie vorzuschlagen. Das war umso einfacher, als das Wort Archäologie einen älteren, zunächst bei Thukydides belegten Sinn hat, nämlich nicht den der mit Grabung und Beschreibung von Artefakten und materiellen Überresten verbundenen Spezialdisziplin im engeren Sinne, sondern die ursprüngliche Bedeutung der „Kunde vom Anfänglichen“, der „Kunde von alten Dingen“. Wer sich mit Dingen des Geistes beschäftigt, gräbt gewissermaßen in imaginärer Weise. Von unserer Gegenwart führt eine Folge von Schichtungen immer tiefer in die Vergangenheit und es ist Aufgabe und Herausforderung für jede Philosophische Fakultät, den Sinn für diese historische Tiefenschärfe aufrecht zu erhalten und zu vermitteln. In dieser Schichtenfolge vergangener, unter der heutigen Welt liegenden Welten ist das Klassische Altertum auch nach dem faktischen Verschwinden einer Schulkultur, die sich mit deren Gegenständen beschäftigte, weiterhin von zentraler Bedeutung, weil sich durch reichhaltige, ästhetisch reizvolle Reste, durch eine überreiche schriftliche Kultur ein selten vollständiges Bild abweichender Mentalitäten rekonstruieren lässt und weil diese Kultur immer wieder auch auf die folgenden Kulturschichten gewirkt hat, vom Mittelalter über die Renaissance und frühe Neuzeit bis in die Gegenwart.

Unter den Archäologen ist nun keiner so geeignet, diesen Doppelsinn von Archäologie als Spezialdisziplin einerseits und als Kunde von alten Dingen und intellektueller, in historische Schichten herabführende Grabungstätigkeit so gut zu illustrieren wie unser diesjähriger Preisträger, Herr Alain Schnapp. Alain Schnapp ist zunächst Ausgräber im wörtlichen und handwerklichem Sinne. Im Rahmen der Grabungstätigkeiten der Ecole Francaise d’Athènes zeichnete er z.B. zuletzt für einen Survey auf dem Gebiet der isolierten kretischen Polis Itanos (in Ostkreta) verantwortlich. Verbunden mit diesen praktischen Tätigkeiten war ein besonderes Interesse für die Behandlung urbanistisch-topographischer Zusammenhänge, von Reflexionen über die Organisation des Territoriums einer Polis. Der zweite Aspekt seiner Forschungen legt in besonderem Maße den Reiz frei, der die Klassische Archäologie gegenüber vielen anderen Archäologien hervorhebt, nämlich die Möglichkeit, hochrangige Kunstwerke mit differenzierten Schriftquellen miteinander in eine Verbindung zu bringen, in der Bilder die Texte und umgekehrt Texte die Bilder verständlich erscheinen lassen. Für sein Buch Le Chasseur et la cité: chasse et érotique en Grèce ancienne aus dem Jahre 1997 hat Alain Schnapp dabei ein imposantes Corpus von Vasenbildern zum Sprechen gebracht. Durch die ständige Verschränkung von Bild und Text gelingen ihm wichtige Einsichten in die Mentalitätsgeschichte der klassischen Antike, anhand der Jagd, die in griechischen Städten nicht nur Freizeitbeschäftigung war, sondern etwa als erzieherisches Mittel für den allgegenwärtigen Krieg vorbereitete und gleichzeitig eine entscheidende Rolle beim Übergang von der Jugend zum Mannesalter spielte. Ein drittes Feld der Forschungen von Alain Schnapp erstreckt sich gleichzeitig auf die Archäologie im engeren, wie im sehr weiten Sinn, nämlich einer epochen- und kulturenübergreifenden Sicht darauf, wie materielle Zeugnisse von späteren Generationen für deren Vorstellungen von Vergangenheiten benutzt wurden. Sein großes Buch „La conquête du passé“ ist in reich illustrierter Form auch auf Deutsch erschienen. Der deutsche Titel macht dabei sehr gut deutlich, worum es geht. Dieser Titel lautet: „Die Entdeckung der Vergangenheit. Ursprünge und Abenteuer der Archäologie“. Vorgestellt wird in der Tat ein großes Panorama, eine Archäologie der Archäologie. Materielle Überreste, alte Inschriften, Gefäße und Ruinen dienen schon im alten Ägypten oder in der neuassyrischen Zeit dazu, sich gewissermaßen der Realität der Vergangenheit zu vergewissern. Alain Schnapp gelingt es, zahlreiche Textzeugnisse, in denen über die Vergangenheit im Zusammenhang mit solchen Überresten reflektiert wird, mit einer atemberaubenden Fülle an Bildzeugnissen in Verbindung zu bringen und aus jeweils verschiedenen Kontexten zu erklären. Erste Ansätze methodisch konsequenter Interpretationen von Spuren der Vergangenheit finden sich erstaunlich früh, aber erst allmählich entsteht über das antiquarische Wissen des 16. und 17. Jahrhunderts, über die Kabinette, dann die Spezialwissenschaft, die den Zugriff auf die Tiefen der Vergangenheit eine wissenschaftliche Archäologie im 18. und 19. Jahrhundert. Dass es dabei nicht einen geraden Weg, sondern viele Umwege gibt – über das archäologisch konnotierte Reliquienwesen bis zum heftigen Ringen mit der Chronologie der Bibel –, weist diesen Weg als ein Abenteuer aus, ein Abenteuer, das mit Sicherheit nicht beendet ist, sondern – vielleicht nicht nur in Richtung eines Fortschrittes – weitergeht. Denn der nach den Methoden des 19. Jahrhunderts festgelegte wissenschaftliche Umgang mit der Vergangenheit wird sicher nicht das letzte Wort haben.

Lieber Herr Schnapp, mit diesen kurzen Worten zu Ihrem Œuvre möchte ich es bewenden lassen. Zu den Neuerungen, die wir der Marke „Meyer-Struckmann-Preis“ zukommen lassen, gehört nämlich dieses Jahr, dass wir nicht mehr so viel über den Preisträger sprechen wollen, sondern dass wir dem Preisträger einen größeren Raum geben, zu uns zu sprechen. Bevor dies aber geschieht, wird noch Herr Prof. Kaiser als Vorsitzender der Meyer-Struckmann-Stiftung und Frau Rektorin Steinbeck das Wort an uns richten. Wir werden anschließend ein weiteres Musikstück unserer Solisten, Georg Sarkisjan und Alexander Kovalev, hören, die von der Robert-Schumann-Hochschule kommen und die die Verbundenheit zwischen der Philosophischen Fakultät und der Robert-Schumann-Hochschule klanglich zum Ausdruck bringen.

Prof. Dr. Bruno Bleckmann

Lehrt an der Heinrich-Heine-Universität Alte Geschichte. Von 2009 bis 2011 Prodekan der Philosophischen Fakultät der HHU, von 2011 bis 2015 Dekan. Wichtigste Arbeitsschwerpunkte: Antike Geschichtsschreibung und Quellenkritik, Griechenland in Klassischer Zeit, die Römische Republik und die Spätantike.