Sehr geehrte Frau Rektorin, sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegen und Freunde,
mit der Verleihung des Meyer-Struckmann-Preises für Klassische Archäologie ehrt mich die Universität Düsseldorf auf eine Weise, die mich zugleich sehr überrascht und erfüllt hat. Im Laufe meiner langen Karriere als Dozent und Forscher hatte ich das Glück, in sehr unterschiedlichen Institutionen zu arbeiten und auf eine sympathische und fesselnde Zuhörerschaft zu treffen. Ich muss jedoch eingestehen, dass ich nun zum ersten Mal Empfänger eines derartigen Preises bin. Ich bin zutiefst dankbar und freue mich, wieder in Düsseldorf zu sein, an einer Universität, die ich dank Andrea von Hülsen-Esch zu schätzen gelernt habe. Es ist üblich, glaube ich, bei einer solchen Gelegenheit retrospektiv den zurückgelegten Weg zu betrachten.

Meine berufliche Laufbahn habe ich im Januar 1969 begonnen, als Assistent von Pierre Demargne, damals Professor für Klassische Archäologie am Institut für Kunst und Archäologie, das nur noch für wenige Monate zur Philosophischen Fakultät der Pariser Universität, sprich der Sorbonne, gehören sollte. Dieser Karrierebeginn im Alter von 22 Jahren kann nur im Zusammenhang mit dem besonderen Klima verstanden werden, das an einer Universität herrschte, die gerade von einem großen Aufstand, zunächst studentisch, dann umfassend gesellschaftlich, ergriffen worden war, den man gemeinhin als die Revolte von 1968 bezeichnet. Wie viele meiner Kommilitonen hatte ich an dieser Revolte, die die Gesellschaft erschütterte, aktiven Anteil. Zusammen mit meinem akademischen Betreuer, dem Historiker und engagierten Intellektuellen Pierre Vidal-Naquet, habe ich es unternommen, Flugblätter und Pamphlete der „Mai-Tage“ zu sammeln und zu analysieren. Daraus ging mein erstes Buch hervor, das zum Vorlesungsbeginn 1969 bei den Editions du Seuil unter dem Titel Journal de la Commune étudiante, Tagebuch der studentischen Kommune erschien.

Dies alles bereitete mich nicht unbedingt darauf vor, Klassische Archäologie zu unterrichten. Ich hatte jedoch im September 1967 eine Abschlussarbeit begonnen, betreut von P. Vidal-Naquet und F. Villard, Professor in Nanterre, zu folgendem Thema: „Die Darstellung der Jagd in der Vasenmalerei des antiken Griechenland“. Lange Jahre sollte ich diesem Thema treu sein, bis zur Abfassung einer Monographie zur Anthropologie der Jagd in Griechenland, meiner Habilitationsschrift, die 1987 der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales vorlag.

Historiker aufgrund meiner Ausbildung, aber auch aus Berufung, war ich allerdings schon Jahre zuvor dem Virus der Archäologie erlegen und hatte das Glück, das Handwerk auf zahlreichen prähistorischen Ausgrabungen zu erlernen, wie jene, die André Leroi-Gourhan in Pincevent, im Pariser Umland, oder Harald von Petrikovits, Direktor des Bonner Landesmuseums, in Neuss (Novaesium) durchführten. Mit letzterem hatte mich H. G. Pflaum, der französische Epigraphiker deutscher Abstammung, bekannt gemacht.

Diesem ersten Kontakt mit der deutschen Archäologie sollten noch viele weitere folgen. Ich hatte die Überzeugung gewonnen, dass Grabungserfahrungen und Praktika in verschiedenen europäischen Ländern überaus sinnvoll sind, was vielleicht auch den etwas untypischen Verlauf meiner Ausbildung, als Althistoriker, als Kunsthistoriker und als Grabungsarchäologe, erklärt.

Die Sorbonne war nach 1968 in einem dramatischen Umbruch; für einen jungen Assistenten, im gleichen Alter wie einige seiner Studenten, galt es alles auf einmal zu erlernen. In Paris war diese Zeit sehr fruchtbar, Lévi-Strauss, Braudel, Le Goff, Vernant, Barthes, Bourdieu und andere mehr trugen dazu bei, die Tagesordnung der Geisteswissenschaften völlig zu erneuern. Ich hatte gleichzeitig meine Lehrveranstaltungen vorzubereiten und meine Ausbildung fortzusetzen.

Zu dieser Zeit konnte ich von einem außerordentlichen Glücksfall profitieren : J. P. Vernant und P. Vidal-Naquet hatten gerade, mit der uneingeschränkten Unterstützung F. Braudels, ein Zentrum für vergleichende Studien zu den antiken Gesellschaften gegründet, das dazu beitragen sollte, die Erforschung der griechischen Polis und deren materiellen Hinterlassenschaft grundlegend zu verändern. Mit den beiden Gründervätern sollten Forscher von Rang wie C. Mossé, M. Detienne und N. Loraux am Entwurf einer Anthropologie des antiken Griechenland zusammenarbeiten, die sich vom bedrückenden Erbe der Philologie und der positivistischen Geschichtsauffassung befreite, um interdisziplinäre Forschungen zur antiken Welt mit einem soziologischen Ansatz zu verbinden.

Vernant und Vidal übernahmen den Forschungsansatz, den ihre Lehrer E. Durkheim und M. Mauss entworfen hatten und wandten ihn auf einen Bereich an, der bis dahin vernachlässigt worden war, die Anthropologie des antiken Griechenland. Der Nutzen, den angehende Archäologen wie François Lissarrague und ich selbst daraus ziehen konnten, liegt auf der Hand. Vernant regte kollektive Forschungen an, die beispielsweise in Studien zum Krieg, zur Erde oder zum Opfer in der antiken Welt mündeten. Für mich waren dies entscheidende Jahre, die für meine folgende wissenschaftliche Tätigkeit prägend bleiben sollten.

Diese paideia beschränkte sich jedoch nicht nur auf Frankreich. Vernant, Vidal und C. Mossé unterhielten enge Verbindungen mit ausländischen Forschern, die regelmäßig auch an unseren Pariser Seminaren teilnahmen. Unter ihnen waren, um nur einige zu nennen, Moses Finley in Cambridge, A. Momigliano in London und Pisa, J. Pecircka in Prag, D. M. Pippidi in Bukarest, C. Bérard in Lausanne und Ch. Meier in München. Ihr Einfluss und ihre Gegenwart waren für viele Forscher unserer Generation entscheidend, sie wiesen uns den Weg, vielseitige Kontakte aufzubauen und mit anderen europäischen Ländern und den USA in Austausch zu treten.

In einem derartigen Umfeld war es bisweilen schwierig, eine Wahl zu treffen. Meine Forschungen dürften in ihrer Verschiedenheit die unterschiedlichen Einflüsse dieser an Begegnungen und Entdeckungen reichen Jahre widerspiegeln. Meine Arbeit an der Sorbonne, die sich nun Paris I nannte, band mich an die Klassische Archäologie und an Studien zu griechischen Vasen. Als ich meine Forschungen zur Ikonographie der Jagd vertiefte, entdeckte ich bald die an deutschen Bibliotheken verfügbare, außerordentlich gute Dokumentation, vor allem dank verschiedener Aufenthalte in Heidelberg, wo mich R. Hampe und später T. Hölscher großzügig aufnahmen.

In den siebziger Jahren konnte ich ebenso die Hamburger Archäologengruppe kennenlernen, die die Zeitschrift Hephaistos herausgab, wie auch den Kenner und unvergesslichen Wegbereiter der Vasenkunde, H. Hoffmann. Dies alles mündete in verschiedene gemeinsame Forschungsvorhaben, von denen „Die Bilderwelt der Griechen – la cité des images“ besonders erwähnenswert ist: Als Buch wie als Wanderausstellung, die, von C. Bérard und F. Lissarrague konzipiert, in über zwanzig europäischen Städten gezeigt wurde. Eine weitere Folge dieser Verbindungen war die Gründung einer Bibliothek in Paris, ganz nach dem Modell der deutschen Institute, die der Geschichte, der Literatur und der Ikonographie der griechisch-römischen Welt gewidmet ist. Heute ist sie zur Bibliothek Glotz-Gernet geworden und wird vom Institut National d‘Histoire de l’art in der prächtigen Galerie Colbert beherbergt.

Mein Hang zur Ikonographie war von meiner alten Begeisterung für die archäologische Ausgrabung nicht zu trennen. Dank wiederum P. Vidal-Naquets wurde ich zu einem Grabungsprojekt in Metapont in der Basilicata verpflichtet, das von dem beeindruckenden Gelehrten Dinu Adamesteanu geleitet wurde, einem rumänischen Forscher, der Soprintendente der Basilicata geworden war. Hieraus resultierte für mich ein verstärktes Interesse für die Archäologie von Süditalien, was mich mit Forschern wie B. d’Agostino, E. Greco und A. Pontrandolfo in Kontakt treten ließ, mit denen ich über all diese Jahre weiter zusammengearbeitet habe. Dank des Vertrauens von B. d’Agostino hatte ich nacheinander an den Ausgrabungen von Eboli und Moio della Civitella in Kampanien Anteil. Später beteiligte mich E. Greco an den Forschungen zur Stadt Laos in Kalabrien. Die Ergebnisse dieser Forschungen brachten mir sowohl eine Vertrautheit mit der so kreativen Welt der Archäologie und Geschichte des alten Italien, als auch die Gelegenheit ein, an den Universitäten von Neapel und Perugia zu unterrichten und stets aktive Verbindungen zu knüpfen. Im Rahmen meines Aufenthaltes in Heidelberg konnte ich dann ferner, dank meiner Studienkollegen A. Furtwängler und A. Kalpaxis, die Archäologie Kretas für mich entdecken. Kalpaxis beteiligte mich in der Folge an seinen Forschungen zum archaischen und klassischen Eleftherna und half mir, zusammen mit E. Greco und D. Viviers von der Freien Universität Brüssel, Grabungen in Itanos, im östlichen Kreta, zu beginnen, die auch gegenwärtig noch andauern.

An diese Forschungsgebiete schloss sich im Laufe der Zeit ein weiteres an: das der Geschichte der Archäologie. Unter dem Einfluss von Vidal-Naquet und Momigliano fing ich an, mich für die Geschichte und die Genese der Altertumswissenschaften zu interessieren. Als ich mich bemühte, meinen Studenten die Geschichte der Archäologie näherzubringen, wurde ich mir schrittweise bewusst, dass die Geschichte der Archäologie mit ihrer Verbindung zur Gesamtheit der Geisteswissenschaften einerseits und den Naturwissenschaften andererseits noch nicht zusammenhängend dargestellt worden war. Ich entdeckte, dass die Verbindungen zwischen dem sogenannten Antiquarentum und der Archäologie komplexer waren als bislang angenommen.

Ich machte mich daran, gestützt auf meine Vorlesungsunterlagen, eine Geschichte der Wahrnehmung der Antike zu schreiben, vom antiken Orient bis zur Aufklärung. Es bot sich mir die glückliche Gelegenheit, neun Forschungsmonate am Churchill College Cambridge zu verbringen, die mir erlaubten, diese Monographie zu publizieren, durch die ich das für mich neue Feld der vergleichenden Geschichtswissenschaft entdeckte. Dieses Werk ist, glaube ich, für mein heutiges Hiersein nicht ganz unverantwortlich.

Bevor ich zum Ende komme, möchte ich diesen Rückblick noch mit einigen Bemerkungen zu meinen institutionellen Stationen abschließen. Im Paris der späten sechziger Jahre fehlten zum Unterricht der Archäologie die nötigsten Grundvoraussetzungen, Bibliotheken und Forschungszentren waren selten, die Zahl der Unterrichtenden sehr beschränkt. Seit meinen ersten Anfängen an der Sorbonne, mit der Hilfe meiner Kollegen und unter der Leitung eines Professors der Archäologie des Orients, J. Deshayes, wurde daran gearbeitet, in Paris ein Institut für Archäologie zu gründen, nach dem Modell der von Gordon Childe in London geschaffenen Einrichtung. Wir verfolgten genauer das Ziel eines Instituts für Archäologie, an dem Urgeschichte, Frühgeschichte und die Archäologie historischer Zeit gemeinsam unterrichtet würden. Der Ausbau der universitären Strukturen in den siebziger und achtziger Jahren hat uns dann erlaubt, in Nanterre eine „Maison de l’archéologie“, ein Haus der Archäologie, zu errichten, das etwas dem Heidelberger Marstallhof ähnelt und alle archäologischen Disziplinen unter einem Dach vereint: Die „Maison de l’archéologie et de l’ethnologie“ ist das wichtigste archäologische Forschungszentrum Frankreichs geworden, das alle Gebiete der Archäologie abdeckt, fachlich wie geographisch.

Dieser nach langen Jahren des Ringens erzielte Erfolg führte mich noch zu einem weiteren, komplementären Unterfangen, nämlich der Gründung des Institut national d’histoire de l’art, im Herzen von Paris, in der berühmten Galerie Colbert. Dieses Forschungsinstitut vereinigt für die Pariser Region alle Ausbildungsrichtungen in der Kunstgeschichte. Es ist zugleich ein Zentrum für Dokumentation und Forschung, wie auch eine Einrichtung zur Unterstützung aller Pariser Museen und Universitäten. Das Institut national d’histoire de l’art besitzt eine erstklassige Bibliothek, die bald in der ehrwürdigen Salle Labrouste ihren Platz finden wird, dem einstigen Herzen der Nationalbibliothek. Von 1998 bis 2004 habe ich an diesem Projekt gearbeitet, unterstützt von Michel Laclotte, dem Mann, dem der Louvre seine heutige Gestalt verdankt. Dieses Projekt hätte niemals ohne die erhaltene, vielseitige Unterstützung und Mitarbeit abgeschlossen werden können. Für lange Jahre stellte es meinen Lebensinhalt dar.

Mit diesen Betrachtungen, habe ich versucht zu erläutern, weshalb Institutionen der Erinnerung, Bibliotheken, Museen und Forschungszentren, für das Gleichgewicht unserer modernen Gesellschaft so unverzichtbar sind.