Festrede
Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff
Anlässlich der Verleihung des Meyer-Struckmann-Preises für geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung 2010
Magnifizenz, Herr Prorektor, Herr Altrektor, liebe Frau Professorin Hülsen-Esch, hochverehrter Laureatus,
meine Damen und Herren!
In welcher Funktion ich hier und heute zu sprechen gebeten worden bin, ist mir – offen gestanden – nicht ganz klar: Für das Land kann ich nicht mehr sprechen, und für die Stadt schon lange nicht mehr...! Und eingeklemmt zwischen drei Grußworten und einer eigenen Laudatio ist mir laut Einladung auch noch die «Festrede» zugewiesen worden – was fast schon wie eine Drohung klingt ...!
Da ich mir also offensichtlich meine Rolle selber aussuchen darf, will ich – als Beamter, der ich nun einmal (wenn auch im «einstweiligen» Ruhestand) bin – gemäß der Devise «Hoch lebe der Vorgang» genau das Gleiche tun, was ich hier bei meiner letzten Rede – im Falle der Verleihung des Preises an Prof. Dr. Hartmut Böhme im Jahr 2006 – getan habe, nämlich das letzte Buch des Preisträgers zu rühmen, damit Sie alle, meine Damen und Herren, es kaufen, lesen und/oder verschenken...!
Beide Bücher, nämlich «Fetischismus und Kultur – eine andere Theorie der Moderne» von Hartmut Böhme
Und dennoch – Suhrkamp und unserer Düsseldorfer, diesen Namen verdienenden «Literaturhandlung» Müller & Böhm sei Dank! – habe ich es bereits von vorn bis hinten gelesen....
Beim letzten Mal habe ich bei gleicher Gelegenheit Hartmut Böhmes Buch auf eine Ebene mit Horkheimers und Adornos «Dialektik der Aufklärung» gestellt und wegen der Einfachheit seiner Grundthese «Dinge tun etwas mit uns Menschen und nicht nur wir mit ihnen»
Friedrich Schlegel zitiert: «Alle höchsten Wahrheiten sind durchaus trivial und eben darum ist nichts notwendiger als sie immer neu und womöglich paradoxer auszudrücken, damit es nicht vergessen wird, dass sie noch da sind, und dass sie nie eigentlich ganz ausgesprochen werden können.»
Dieses Schlegel-Zitat trifft auch auf Horst Bredekamps «Theorie des Bildakts» zu: Was Hartmut Böhme für die «Dinge» schlechthin auf den Punkt gebracht hat – dass sie eben etwas mit uns tun und nicht nur wir mit ihnen –, das formuliert Horst Bredekamp für das spezielle Ding «Bild», indem er die Quintessenz der Lehre vom Bildakt wie folgt auf den Punkt bringt: «Bilder sind nicht Dulder, sondern Erzeuger von wahrnehmungsbezogenen Erfahrungen und Handlungen».
Meine Damen und Herren, das hat – im zitierten Schlegel’schen Sinne – so noch nie jemand formuliert, es sei denn – in freilich lyrischer Form – der auch von Bredekamp selbst zitierte Rainer Maria Rilke angesichts des Torsos von Milet im Pariser Louvre:
«...denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.»
Es würde hier zu weit führen, die Bezugnahmen von Bredekamp auf Platon (insbesondere dessen Höhlengleichnis), Heidegger, Lacan, Cusanus, das Stadttor von Capua mit seinem Bildnis Friedrichs II. von Hohenstaufen und auf viele andere Quellen zu schildern und seine Unterteilung des Bildakts in einen schematischen, substitutiven und intrinsischen Bildakt darzustellen. Was aber seine Theorie des Bildakts für uns heute, die wir ja an einem einzigen Tag mehr Bilder und Zeichen sehen als ein durchschnittlicher Mensch vor 200 Jahren in seinem ganzen Leben und die wir Tag für Tag Kriege, Katastrophen und tausendfache Tode über die Medien «zeitgleich» miterleben, ohne dass wir jemals die Chancehätten,dies alles durchTrauerarbeitzuverkraften,bedeutet, macht Bredekamp am Thema des von uns allen miterlebten asymmetrischen Krieges oder, wie er es nennt, des «Bilderweltkriegs» anschaulich
Bilder der Zerstörung der Buddha-Statuen von Barmiyan in Afghanistan, der Twin-Towers von New York am 11. September 2001, der Folterungen von Abu Ghraib oder der Gefangenen von Guantánamo werden plötzlich zu «Waffen», die sogar – wie im Falle von Guantánamo – zu regelrechten Rohrkrepierern werden können, indem sie sich gegen ihren Urheber und Absender richten. Menschen werden nicht als Bild gezeigt, weil sie getötet wurden, sondern sie werden getötet, um sie als Bild einsetzen zu können.
Bereits 1997 hat Bredekamp in seinem Aufsatz «Das Bild als Leitbild. Gedanken zur Überwindung des Anikonismus»
Und hier möchte ich mit Friedrich Schillers «Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen»
Peter Sloterdijk hat bekanntlich die These aufgestellt, dass heute die Schranke zwischen dem Ästhetischen und Logischen hinfällig werde. «Etwas merken ist Wahrnehmung, ist Ästhetik im weitesten Sinne und bleibt bis in die letzte Instanz die Angelegenheit des Denkens.»
Meine Damen und Herren, ob wir für ein solches ästhetisches Denken gerüstet sind, wage ich freilich zu bezweifeln. Vor allem, ob Schule dies leistet. Daher kommt Horst Bredekamps Theorie des Bildakts das Verdienst zu, uns nicht nur vor Augen zu führen, dass und wie Bilder etwas mit uns machen, sondern auch auf die dringende Notwendigkeit hinzuweisen, dass wir der ästhetischen Erziehung wieder einen erheblich höheren Stellenwert einräumen müssen. Ästhetische Erziehung muss wieder untrennbarer Bestandteil von Bildung werden. Und wenn wir uns zum Ziel gesetzt haben, 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung auszugeben, dann muss hieran auch die ästhetische Erziehung einen gebührenden Anteil erhalten. Die Kulturhaushalte allein können das nicht leisten. Es geht dabei um Bildung – und damit auch um die Bildungshaushalte!
Doch bevor ich mich weiter in meinem Lieblingsthema verliere, möchte und muss ich schließen und meine Komplimente, Glückwünsche und meinen Dank an
Sie, Herr Prof. Bredekamp, aber auch an die Verantwortlichen der Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung und der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf richten. Und erlauben Sie mir, an die Adresse der beiden letztgenannten Institutionen die etwas vorlaute, wenn nicht gar freche Anregung hinzuzufügen: Die Theorie des Bildakts beruht auf Horst Bredekamps Frankfurter Adorno-Vorlesungen von 2007 (es gibt eben keine Zufälle...!). Könnten Stiftung und Fakultät nicht gemeinsam z. B. «Meyer-StruckmannVorlesungen» etablieren, um solchen großartigen Köpfen wie Horst Bredekamp nicht nur im Nachhinein einen solchen wohlverdienten Preis, sondern auch im Vorhinein die Ruhe und Muße für die Entwicklung einer so bahnbrechenden Theorie wie der des Bildakts zu gewähren?! Das wäre doch des Schweißes der Edlen und des Geldes des nicht minder edlen Stifters wert!
Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (geb. 1949)
Staatssekretär für Kultur des Landes NRW 2005–2010. Kulturdezernent der Stadt Düsseldorf 1992–2005.
- [1]
Reinbek, Rowohlt 2006.
- [2]
Frankfurt, Suhrkamp 2010.
- [3]
Über die Unverständlichkeit. Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 2. Bd., München/Paderborn/Wien/Zürich 1967, S. 363–372, hier S. 366).
- [4]
Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts, S. 326.
- [5]
Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts, S. 328.
- [6]
Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts, S. 52.
- [7]
Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts, S. 56.
- [8]
Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts, S. 248.
- [9]
Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts, S. 224–230.
- [10]
Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts, S. 228.
- [11]
Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts, S. 230.
- [12]
Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts, S. 230.
- [13]
Horst Bredekamp, Bilder bewegen. Von der Kunstkammer zum Endspiel. Aufsätze und Reden. Hg. v. Jörg Probst. Berlin 2007. S. 136–156.
- [14]
Horst Bredekamp, Bilder bewegen. Von der Kunstkammer zum Endspiel. Aufsätze und Reden. Hg. v. Jörg Probst. Berlin 2007. S. 141.
- [15]
Horst Bredekamp, Bilder bewegen. Von der Kunstkammer zum Endspiel. Aufsätze und Reden. Hg. v. Jörg Probst. Berlin 2007. S. 156.
- [16]
Sämtliche Werke, Bd.V, hg. v. Gerhard Fricke und Herbert H. Göpfert, 9. durchges. Aufl. (WBG) München 1993 S.570–669.
- [17]
Italo Calvino, Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend. München/Wien 1993, S. 128.
- [18]
Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung. Ästhetischer Versuch.Frankfurt a.M. 1987, S. 125.
- [19]
Wolfgang Welsch: Ästhetisches Denken, 3. Aufl. Stuttgart 1993, S. 111.