Dem Historiker ist die Abfolge der Zeit das Gesetz, und daher beginne ich unhierarchisch-chronologisch:

Spectabilis,
sehr geehrter Prof. Kaiser,
Magnificenz,
sehr geehrter Herr Ehrensenator Grosse-Brockhoff, liebe Frau Kollegin von Hülsen-Esch,
sehr geehrter Herr Beckmann,
meine sehr geehrten Damen und Herren!

Eine Reihe von Anläufen habe ich unternommen, um Ihnen eingangs einen Begriff davon zu geben, wie sehr ich mich durch die Verleihung des Meyer-Struckmann-Preises geehrt fühle. Es ist erwähnt worden, dass ich bereits das Glück hatte, ausgezeichnet zu werden; ich kann aber sagen, dass ich bei keiner anderen Gelegenheit im selben Maße beglückwünscht worden bin wie aus Anlass des heutigen Tages. Im Rahmen der Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung handelt es sich um einen noch jungen Preis, aber er hat durch die bisher Geehrten in kurzer Zeit eine eigene Markanz gewonnen. In diese Reihe gestellt zu werden erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit.

Dieser Tag hätte von doppelter Freude sein können, denn heute, wie es bereits erwähnt worden ist, wird die Theorie des Bildakts ausgeliefert. An dieser Alternative zur Lehre des Sprechakts habe ich wissentlich und auch unbewusst geschrieben, seitdem mir Werke der bildenden Kunst wie auch Bilder an sich zu einer Herausforderung geworden sind. Ich kann selbstverständlich nicht sagen, ob es gelungen oder missraten ist. Mit Sicherheit aber weiß ich, dass ich es nicht hätte fertig stellen können, wenn ich nicht von dem amerikanischen Philosophen John Michael Krois ermutigt worden wäre, der seit den neunziger Jahren an der HumboldtUniversität gelehrt hat. Allein schon als Herausgeber und Deuter der Schriften von Ernst Cassirer hat er sich weltweit einen Namen gemacht. Uns hat unmittelbar verbunden, von der kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg affiziert gewesen zu sein, die auch fast 80 Jahre nach ihrer Emigration nach London eine geradezu magnetische Anziehungskraft entfaltet. In dieser Bibliothek haben Kunsthistoriker, Philosophen (und so auch Cassirer), Historiker, Kirchengeschichtler, Theologen, Arabisten und Sprachforscher gemeinsam aus ihren je unterschiedlichen Perspektiven an einer allgemeinen Kulturtheorie gearbeitet. Deren Eigenart lag darin, Kulturprodukte nicht etwa als Rückspiegel andernorts erreichter oder auch erzwungener Leistungen zu begreifen, sondern als aktivierende Gestalter. Mit der oftmals bemühten Kompensationsfunktion von Werken der Kultur hat dies nichts zu tun. Vielmehr bewähren sich diese aus der Warburg’schen Perspektive gleichsam im Tumult der vordersten Front permanenter Veränderungen des Zusammenlebens.

Es ging um Probleme, die, wie Warburg es für sich und die Mitstreiter formulierte, «uns kommandieren». Was diese Bibliothek antrieb, war die Erkenntnis, dass so gut wie keine menschliche Handlung erklärt werden könne, wenn nicht die prägenden Symbole, Metaphern, Bilder, Texte und Inszenierungen als Bedingungsfaktoren erfasst und analysiert würden, und dies nicht nur in Bezug auf die Gegenwart, sondern auch und vor allem hinsichtlich ihrer eigenen historischen Prägung. Hierzu gehörten etwa die Bilder der Kosmologie, über die jeweils das Weltbild gestaltet wurde, die Mittel der visuellen Kriegspropaganda, der Zusammenhang von Bildniskunst und der Definition des Sozialen, sowie allgemein eine umfassendene Ausdruckskunde. Der Symbolbegriff setzte bei den Expressionsformen der Gesten und der Mimik an. In all ihren Abstraktionen und dem freien Spiel des Ausdrucks blieb die Erkenntnis, daß sie gleichsam festgefrorene und dann aus dem Zusammenhang freigesetzte Körperäußerungen waren, die sich ursprünglich im Klima der Bedrohung und des Kampfes entwickelt hatten.

Die Erinnerung an die unvergleichliche Leistung dieser Bibliothek hat gegenwärtig eine erneute Konjunktur, weil sich manche Bereiche der Neurowissenschaften wie auch der Philosophie des Geistes in einer Zerreißprobe zu befinden scheinen. Auf so gut wie jedem Feld stehen sich zwei Deutungsansätze gegenüber: einerseits die vorherrschende Überzeugung, dass der Geist die Instanz einer spiegelnden Konstruktion der Welt sei; spiegelnd als Reflexorgan, aber in der Gestaltung dessen, was als Wirklichkeit erlebt wird, bereits als Reflex konstruierend.

Die Gegenposition des embodied mind besteht darauf, dass zerebrale Prozesse an einen Körper gebunden sind und auf Körpererfahrung beruhen. Aus dieser Sicht ist der Körper nicht der Impulsgeber, sondern der Bedingungsgrund des Denkens. Diese zweite Position gelangt in ihrer entschiedensten Variante zur Überzeugung, dass im Sinne des verkörperten Denkens nicht nur der eigene Körper, sondern auch die von ihm konstruierten Analyse- und Gedankenspielmittel, wie es Instrumente und Bücher ebenso wie Kunstwerke darstellen, untrennbar zum denkenden Körper gehören. Diese Theorie des extended mind erkennt in allen kulturellen Ausprägungen nicht etwa eine Zutat des Denkens, sondern den Denkprozess selbst.

Durch die Schulung im Denken Cassirers war John Krois ein Vertreter dieser zweiten Position. Im Sinne des embodied mind besaß er eine starke Sensibilität und Neugierde für die Geschichte der Kunst, und nach dem Modell der Warburg-Bibliothek hat er gemeinsam mit mir zwei Jahre lang die DFG-geförderte Kolleg-Forschergruppe «Bildakt und Verkörperung» leiten können.

Am letzten Freitag des Oktobers habe ich mein Buch zur Theorie des Bildakts mit der Widmung an den schwer an Krebs erkrankten Krois zum Druck gegeben. Am Montag darauf musste ich als allerletzte Maßnahme die Lebensdaten hinzuzufügen. Dieses Buch mitsamt dieser Widmung ist nun heute erschienen, und ich hoffe, dass Sie Verständnis dafür haben, dass ich an diesem Tag nicht der Freude und der Dankbarkeit allein, sondern auch einer tiefen Betrübnis Ausdruck gebe.

Die Theorie des Bildakts ist im Suhrkamp Verlag erschienen. Vor 35 Jahren kam dort auch meine erste Buchpublikation heraus: Kunst als Medium sozialer Konflikte. Anfang dieser Woche habe ich ein Vorausexemplar des Bildakts erhalten, das ich durch Zufall neben das kleine Buch aus der Edition Suhrkamp gelegt habe. Der Effekt war gleichermaßen Freude und Schrecken. Für die Einleitung meiner Dissertation hatte ich die Fotografie eines kambodschanischen Regierungssoldaten gewählt, der, als er während der Belagerung durch die Roten Khmer sein Gewehr reinigte, ein Buddhabild neben sich aufgestellt hatte. Diese unmittelbare Nähe von Waffe und Bild wurde in der Fotografie eines westlichen Fotografen zu einer Reflexion über die Unabschließbarkeit historischer Geltungsweisen des Bildes. Dimensionen, die als archaisch und atavistisch erachtet werden, können urplötzlich unmittelbare Aktualität gewinnen. Die Reflexion dieses Phänomens hat mich 35 Jahre gekostet, und die Antwort habe ich in der Theorie des Bildakts zu geben versucht.

Der unmittelbare Dreiklang von Waffe, Person und Bild war einer der Gründe, warum ich unablässig gegen die Annahme Platons argumentiert habe, dass Bilder allein widerspiegeln und in dieser mimetischen Qualität überflüssig bis lächerlich seien. Nicht weniger abwegig erschien mir die neoplatonische Entschärfung, dass Bilder die Seele des Menschen über die Sinne zum transsinnlichen Reich der Ideen zu führen vermögen. Mir ist dies immer als ein kunsttheoretischer wie auch philosophischer Kitsch erschienen.

Mit Blick auf das Paradebild neoplatonischer Deutungen, Botticellis Primavera, habe ich zu zeigen versucht, dass der Moment der Gewalt, der über den Vergewaltiger Zephir in das Bild hineinbricht, eine weitaus größere Rolle spielt, als diese harmonisierende Sicht sich einzugestehen getraut. Wenn in diesem Gemälde eine Philosophie erkannt werden könne, dann eine eigenwillige Variante des Epikureismus. Diese Lehre des Ausgleichs zwischen Natur und Geist erkennt in der Materie selbst eine Beseelung, die keinen Aufstieg in die aseptische Welt der reinen Ideen nötig hat, um mit sich ins Reine zu kommen.

Der nördlich von Rom gelegene, von 1560 an geschaffene Garten von Bomarzo ist für meine antiplatonische Fixierung eine Art Fluchtpunkt geworden, weil sich der Schöpfer dieses ersten sich in die Natur einschmiegenden Landschaftsgartens expressis verbis auf die Philosophie Epikurs bezogen hat. Mich haben aus demselben Grund immer wieder Kunst- und Denkformen des Manierismus angezogen.

Mir geht es jedoch in keinem Moment um eine Absage an die Metaphysik, sondern um deren Umbiegung in den Lebensprozess. Als aktiv-symbolische Form ist die Kunst eingebunden in die elementaren Rahmenstellungen von Geburt und Tod, von Konflikt und Harmonie, von Kampf und Beruhigung. Sie ist kein Energiedämpfer, sondern ein Energiegeber. Die Baugeschichte von St. Peter in Rom ist hierfür das wohl einschneidendste Beispiel. Wenn man weit genug zurücktritt, so war es Bramantes Zeichnung Uffizien 20A, die Papst Julius II. davon überzeugte, die ehrwürdige Basilika Kaiser Konstantins niederzulegen, einen neuen Riesenbau zu errichten und hierfür ein umfassendes Ablasssystem aufzubauen, das den Ausschlag für die Kirchenspaltung abgab. Aus diesem Grund habe ich in der Baugeschichte von St. Peter das Prinzip der schöpferischen Zerstörung von Aloys Schumpeter wirken sehen. Gestaltete Formen greifen permanent zerstörend und gestaltend in alle Lebens- und Forschungsbereiche ein.

All dies steht im Konflikt zu jenem kurzgeschlossenen Bild, das die Aufklärung als einen Begriffsapparat der reinen Vernunft definiert. Die Kritik an dieser Art Aufklärung war eine Grunddisposition meiner Generation, bei der das Jahr 1968 in die kostbarsten Jahre der Entwicklung zum Erwachsensein gefallen ist. Im Gegensatz zu manchen Angehörigen meiner Altersstufe habe ich mich vom Begriff der Aufklärung als einem Anspruchsrahmen vernünftigen Zusammenlebens jedoch nicht verabschiedet. Ich halte die Aufklärung nicht etwa für überholt, sondern für uneingelöst.

Um diese Erneuerung voranzutreiben, habe ich nicht etwa versucht, die Verkoppelung von Vernunft und Logos zu attackieren, sondern sie durch Rückgriff auf jenes 17. Jahrhundert zu unterlaufen, in dem die Frontstellung von Sprache und Bild keine Rolle spielte. In diesem Sinn habe ich mich bemüht, das zeichnerische Werk Galileo Galileis zu rekonstruieren. Wenn es einen Naturforscher gab, bei dem die Bewegung der Hand und des Kopfes als unmittelbare Einheit begriffen war, dann ist es Galilei gewesen. Seine Aquarelle der Sonnenflecken, die ich im Geheimarchiv des Vatikans studieren konnte, gehören meines Erachtens zum Kostbarsten, wozu der gestaltend denkende Mensch befähigt ist.

Zu dieser Gestalt der Naturforschung kam der Begründer der Staatstheorie, Thomas Hobbes. Ich habe den Leviathan in seiner visuellen Prägung und, entscheidender, in seiner visuellen Zielsetzung zu rekonstruieren versucht. Mit der Philosophie von Gottfried Wilhelm Leibniz habe ich schließlich eine Lehre zu entschlüsseln versucht, die wie keine zweite der Theorie der Verkörperung entgegenkommt. Sie attestiert bereits der feinsten Materie eine Appetition, Anziehungskraft, in welche das Visuelle als Stimulanz eintreten kann. Dass Leibniz diese Überlegungen in radikalen Museums- und Ausstellungskonzepten umgesetzt hat, gehörte für mich zu den überraschendsten Entdeckungen. Insgesamt erscheint mir das 17. Jahrhundert als Modell des 21., insofern es angesichts der unvergleichlichen Verbildlichung aller Kommunikationsmittel darauf ankommt, gleichsam voraufklärerisch anzuerkennen, dass der Mensch ein umfassendes, keinesfalls auf einen Sinn und ein Medium hin ausgelegtes Denkorgan ist.

All dies ist in die Theorie des Bildakts geflossen. Neu ist allerdings, dass ich den Kampf gegen Platon eingestellt habe. Die Publikation der italienischen Altphilologin Maria Louisa Catoni zu den Schemata Platons hat mich belehrt, dass das Bild des gegen die Bilder wütenden Philosophen nur dann zutrifft, wenn der Kosmos seiner dem entgegenstehenden Äußerungen ausgeblendet und neutralisiert wird. Platon war nicht aus dem Grund ein Kritiker der Bilder, weil er sie für gering schätzte, sondern weil er ihre Funktion und ihre Wirkung zu den höchsten Instanzen zählte. Mit dieser Einschätzung hat er nicht nur vor ihren Gefahren gewarnt, sondern sie auch als Aktivposten des geglückten Lebens gewertet. Selbstverständlich können wir seine polizeilichen Zensurgebote gegenüber gefährlichen Bildern nicht in unseren Denkrahmen übertragen, aber wir können uns doch zumindest vorstellen, dass Gesellschaften es für ihr Überleben als berechtigt erachten, den Eigenlauf von Bildern zu regulieren. Platon hatte in jedem Fall mit den Bildern keine mindere Qualität, sondern eine höchst aktive Größe im Blick.

Zur Frage des Verhältnisses zwischen Bild und Sprache ist abschließend anzumerken, dass unter den Bedingungen der Visualisierung so gut wie sämtlicher Lebensbereiche, von der Pädagogik über die Naturwissenschaften bis zur Medizin und zum Militär, die Sprache selbst zu den schützenswerten Gütern gehört. Keine Frage kann sein, dass sich Sprache vor allem darin zu bewähren hat, dass sie mit Bildern umzugehen lernt. Bilder aus der Zone des Illustrativen und Spiegelnden herauszunehmen und in die Sphäre der prekärsten Kulturkonflikte unserer Zeit hineinzusetzen heißt auch, ihre sprachliche Reflexion und damit die Sprache an sich zu stärken und zu verteidigen. Als Bildforscher verteidige ich die Sprache.

Ich hoffe, diese beiden Volten, und damit komme ich zum Ende, werden Sie nicht als Zeichen der Altersmilde missverstehen. Preise, so sagt man, bekommt man zu spät: wenn alles bereits getan sei. Eine solche Einschätzung aber würde nur zutreffen, wenn es einen Plan gäbe, der gleichsam abgearbeitet würde. Die erwähnten beiden Schlusswendungen mögen Ihnen verdeutlichen, dass die Forschung ebenso wie das Leben mit Paradoxien und Überraschungen zu tun hat. Minimale Effekte können unabsehbare Folgen haben.

So habe ich in den achtziger Jahren, als ich an einer Museumsgeschichte arbeitete, in den Karteikarten der Nationalbibliothek von Florenz nach dem Verfasser Bettini gesucht. Als ich ihn erreicht hatte, fiel mir als Folge einer verzögerten Ungläubigkeit eine Karteikarte wieder ein, die ich soeben eher dämmernd wahrgenommen hatte: ein italienischer Titel eines gewissen Pietro di Lorenzo Bini zur Geschichte des florentiner Fußballs. Nicht dies zwang mich, wieder zurückzublättern, sondern die Jahreszahl: 1688. Tatsächlich war es so: ein Buch zum florentiner Fußball vom Ende des 17. Jahrhunderts.

Von diesem Moment an habe ich gegen alle vorherigen Verabredungen alles liegen gelassen, um tatsächlich die Historie dieses zwischen Rugby und dem modernen Fußball schwankenden Kampfsports zu schreiben. Es ist meine erfolgreichste Publikation geworden, in mehrere Sprachen bis in das Japanische übersetzt, und so auch ins Italienische. Vor zwei Wochen habe ich das kostbare Dokument erhalten, dass ich in das Ehrenkomitee des florentiner Verbandes historischer Fußball aufgenommen worden sei. Eine nicht erwartbare Fingerbewegung hat zur Aufnahme in den florentiner Stadtadel geführt, der sich in diesem Verein versammelt.

Ich war gebeten worden, mir selbst über die Schulter zu blicken, was an sich nicht ohne verzerrende Verquälung gelingen kann. Ich dachte daher, diese letzte Geschichte könnte Sie amüsieren, auch zum Zeichen dessen, dass ich mich bemühen werde, dem Preis nichts Retrospektives zu geben. Man weiß nie, was kommt, und mit dem Versprechen, weiterhin falsche Handgriffe zu tun, möchte ich mich nochmals herzlich bedanken: bei den Mitgliedern der Jury, der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität und der Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung.