Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Siepe, sehr geehrter Herr Prof. Dr. Kaiser, sehr geehrter Herr Lohe,
lieber Herr Prof. Dr. von Alemann, meine Damen und Herren!

Zum Abschluss einer solchen Ehrung noch etwas Substanzielles zu sagen, fällt mir nicht leicht. Es ist schon so viel gesagt worden, zumal über mich, und jetzt soll ich auch noch das letzte Wort haben. Ich bin eher ungeübt in den Gepflogenheiten solcher Ehrungen. Das mag mit meinem Alter zu tun haben. 1951 geboren, bin ich noch zu jung, um schon viele Preise bekommen zu haben; einige wohl schon, aber da brauchte ich nichts zu sagen, sondern musste mich bloß aufs Händeschütteln konzentrieren. Und vor allem auf die Stufen, die ich zu einem Podium hinauf- und hinabzusteigen hatte: Nur keine dieser Stufen übersehen oder verfehlen und dann flach vor dem Publikum zu liegen, wie das Fidel Castro ergangen ist, wobei er sich dann auch noch den Arm gebrochen hat, oder, wie Edmund Stoiber, an der obersten Stufe hängen bleiben, um dann halb taumelnd, halb torkelnd zum Rednerpult zu kommen. Das mögen für einen Politikwissenschaftler typische Obsessionen sein, zumal für einen, der sich immer auch für die Symbolik des öffentlichen Auftritts interessiert hat. Der eine schafft den Abgang nicht, der andere bleibt auf dem Weg nach oben an der letzten Stufe hängen. In beiden Fällen war dies so etwas wie der symbolische Auftakt zum Ende einer Karriere bzw. war die vorweggenommene Symbolisierung des bald darauf tatsächlich erfolgenden Abtritts von der politischen Bühne. Darüber denkt man schon nach, wenn man selbst einige Stufen hinauf- und anschließend auch wieder hinunterzugehen hat. Und schon hat alles eine gefährliche Bedeutsamkeit, und man ist gut beraten, doppelt aufmerksam zu sein.

Die Erinnerung an solche symbolischen Szenen, wie den physischen Sturz Castros und den Beinahe-Sturz Stoibers, hat bei mir in der Vergangenheit zu der entsprechenden inneren Anspannung bei Ehrungen genügt; ich brauchte außer ein paar kurzen Worten gar nichts zu sagen, um diese Anspannung aufzubauen. Sie hier in Düsseldorf wollten jedoch auf «Nummer sicher» gehen und haben mich um ein längeres Statement gebeten, in dem es um meine Arbeit und meine Herangehensweise an wissenschaftliche Fragen gehen soll. Während ich mich darauf vorbereitet habe, sind mir Sinn und Zweck solcher Ehrungen etwas klarer geworden, vor allem aber das Erfordernis, sich nicht bloß händeschüttelnd oder mit ein paar kurzen Worten zu bedanken, sondern, wie bei vielen Anlässen auch sonst üblich, zu einer längeren Reflexion auf und über das eigene Tun und Lassen auszuholen. Das also will ich nachfolgend tun.

Zunächst aber möchte ich mich bei Ihnen für diesen wunderbaren Preis, den Dr. Meyer-Struckmann-Preis des Jahres 2009, ganz herzlich bedanken, zugleich aber auch dafür, dass Sie eine Preisverleihungspraxis eingeübt haben, die dem Preisträger am Schluss Zeit lässt, etwas über seine Fragestellung, seinen Umgang mit intellektuellen Herausforderungen, seine Art des wissenschaftlichen Arbeitens zu sagen. Das zwingt zum Innehalten und zur Selbstvergewisserung. Als Erstes habe ich mich dabei gefragt, ob ich die thematischen Entscheidungen, die ich am Beginn meiner akademischen Karriere getroffen habe, heute wieder so treffen würde oder im Lichte der inzwischen gemachten Erfahrungen zu anderen Entschlüssen käme. Woran sich als Zweites die Frage anschloss, ob ich zu den Texten, die ich im Verlaufe der letzten 30 Jahre geschrieben habe, auch heute noch stehe oder ob ich manches anders sehen und darstellen würde. Das sind wahrlich heikle Fragen; sie sind so gefährlich, dass man sich nur im Schatten eines Preises, einer öffentlichen Anerkennung, an sie herantrauen sollte. Offenbar kann ja nicht alles falsch oder vergebens gewesen sein, sonst hätte ich den Preis nicht bekommen. Aber weil ich den Preis bekomme, muss ich mich nun mit mir selbst beschäftigen und werde dadurch für eine kurze Spanne vom Getümmel des Betriebs zurückgehalten. Ehrung und Selbstreflexion werden so zu komplementären Vorgängen.

Bei der Vorbereitung meiner kleinen Dankesrede ist mir nebenbei auch klar geworden, welch komplexes und zugleich raffiniertes Arrangement eine solche Preisverleihung darstellt: Dass sie gerade nicht eine Fortsetzung des wissenschaftlichen Arbeitens mit feierlichen Mitteln ist, sondern eine nachhaltige Unterbrechung desselben, bei der man gleichsam neben sich tritt, um sich zum Objekt reflexiver Beobachtung zu machen. Das fällt mir, wie gesagt, nicht ganz leicht. Ich bin darin ungeübt, zumindest im öffentlichen Sprechen über solche Selbstreflexion. Man nimmt sich dabei mit einem Mal so wichtig. Das irritiert.

Sich selbst zum Objekt reflexiver Beobachtung zu machen, heißt zweierlei: Einerseits mit diesem Beobachtungsobjekt so umzugehen, wie man dies bei seiner Arbeit auch sonst tut, und andererseits nicht aus dem Auge zu verlieren, dass es sich dabei nicht um einen der – in meinem Fall – Theoretiker der Geschichte des politischen Denkens handelt, mit denen ich mich sonst beschäftige, weil sie im Mittelpunkt von Lehre und Forschung stehen, sondern dass man es selbst ist, den man zum Gegenstand der Beobachtung hat. Eigentlich vollziehen wir diese Doppelbewegung ja permanent, damit wir uns in unserer Umgebung aufmerksam und sicher bewegen können: Wir beobachten uns und beurteilen, was wir dabei beobachten. Aber wir tun das automatisch, routiniert, und denken nicht lange darüber nach. Das ist vermutlich auch gut so, denn wenn wir nachdenken würden, würden wir nicht so funktionieren, wie wir funktionieren müssen. Jeder kennt aus seinem Umfeld jene Zweifler und Grübler, die, statt zu tun, was zu tun ist, erst ein langes Raisonnement darüber beginnen, ob das zu Tuende tatsächlich getan werden muss, ob sie es sein sollen, die das tun, und was das für sie bedeutet. Wo diese Grübler überhand nehmen, bricht der Betrieb zusammen. Selbstreflexivität muss nicht immer hilfreich sein; sie kann auch schaden und blockieren. Deswegen ist es weise, sie in Form einer Festveranstaltung zu entschärfen, sie also von den Routinen des Betriebs zu separieren und auf diese Weise dafür zu sorgen, dass sie nicht auf diesen übergreift.

Das ist vermutlich von Anfang an die Funktion von Festen gewesen: die Routinen des Alltags und seines Betriebs unberührt zu lassen und gleichzeitig ihnen gegenüber Distanz zu gewinnen. So ist sichergestellt, dass die Selbstbeobachtung nicht in Schizophrenie endet oder die Arbeits- und Lebensfähigkeit bedroht. Das Festliche ist die schonende Ummantelung des riskanten Akts der Selbstreflexion, und seine oft so lästigen Rituale dienen vor allem dazu, sicherzustellen, dass nach Ende des Festes der Alltagsbetrieb wieder aufgenommen werden kann, ohne dass man einen nachhaltigen Schaden erlitten hätte. Der Preisträger findet wieder zurück in seinen normalen Arbeitsprozess, er verhält sich gegenüber seinen Kolleginnen und Kollegen wie zuvor und ist weiterhin bereit, die im Reihendienst zu übernehmenden Aufgaben zu schultern. Das Fest war gestern, und heute herrscht wieder der Alltag.

Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass ich in diesen einleitenden Bemerkungen bereits über mich und mein Selbstverständnis gesprochen habe, vielleicht nicht darüber, wie ich bin, aber doch darüber, wie ich sein möchte, wie ich glaube, dass ich sein sollte. Man kann von sich als Objekt reflexiver Beobachtung nicht sprechen, ohne dass Deskription und Präskription, Sein und Sollen sich in einer Weise miteinander vermischen, wie das in der Wissenschaft, jedenfalls Max Weber zufolge, eigentlich nicht sein sollte. Doch wenn das Subjekt zum Objekt wird, wenn es den in die Welt hinausgerichteten Blick auf sich selbst zurückwendet, also im buchstäblichen Sinne reflektiert, dann gerät die sonst gewohnte und gepflegte Ordnung durcheinander und wir laufen Gefahr, in die Beschreibung eine Reihe von Erwartungen einzumischen, die der guten Ordnung halber eigentlich erst nach der Beschreibung und getrennt von ihr geäußert werden dürfen. Heißt: Wenn man über sich selber spricht, geht man eine Fülle von Risiken ein, nicht zuletzt das Risiko der Selbstüberschätzung, welches nicht zuletzt darin besteht, dass man das, was man sein möchte, mit dem verwechselt, der man ist. Auch dagegen ist das Fest, wenn man es recht versteht, eine probate Vorkehrung: Die mögliche Selbstüberschätzung bleibt auf den Festakt beschränkt und wird daran gehindert, nach draußen und in den Alltag zu drängen.

Ich will es bei diesen Vorbemerkungen belassen, in denen ich mich dessen vergewissert habe, welch gefährlichen Weg ich in den nächsten Minuten gehen werde, und indem ich mich meiner selbst versichert habe, habe ich mich, wie ich hoffe, auch ein wenig gegen die Risiken dieses Weges versichert. Das also ist der erste Ertrag reflexiver Selbstbeobachtung: dass sie nicht nur über die Risiken informiert, sondern in Grenzen dagegen auch versichert. In diesem Sinne will ich mich nun auf den angekündigten Weg machen.

Ich habe, wie aus der schönen Laudatio durch Ulrich von Alemann zu entnehmen war, in den zurückliegenden drei Jahrzehnten relativ viel publiziert: Bücher, Aufsätze, solche in Zeitschriften, solche in Sammelbänden, viele in Handbüchern. Ich gehöre somit zu jenen, von denen man sagt, sie könnten die Tinte nicht halten. Dieses etwas abfällige Bild pathologischer Inkontinenz trifft in meinem Fall im Übrigen tatsächlich zu, denn ich schreibe noch mit der Hand und obendrein mit Tinte. Das sei, bekomme ich gelegentlich zu hören, ein Akt eitler Fortschrittsverweigerung. Das mag sein – aber ich kann nun einmal nicht anders. Als Anfang der 1990er Jahre meine damalige Sekretärin an der Frankfurter Universität für längere Zeit ausfiel und ich meine Texte wieder selber in die Maschine bzw. den Computer schreiben musste, was ich bei Dissertation und Habilitation selbstverständlich getan hatte, nun aber nicht mehr so viel Zeit hatte wie damals, schrieb ich erstmals ohne handschriftliche Vorlage direkt in den Computer. Dabei musste ich bald feststellen, dass ich schneller schreiben als denken konnte bzw. die Maschine in ihrer ungeheuren Textgefräßigkeit auf mich eine Anmutung ausübte, der ich mich im unvermittelten Gegenüber zum Textverarbeitungsgerät nicht entziehen konnte: Wort um Wort, Satz um Satz, schreiben, schreiben, schreiben. So fühlte ich mich wie der Cornet Christoph Rilke beim Vorstoß der Armee Prinz Eugens in die ungarische Tiefebene, jedenfalls so, wie Rainer Maria Rilke die Gefühle seines Vorfahren beschrieben hat:

«Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten. Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß. Es gibt keine Berge mehr, kaum einen Baum. Nichts wagt aufzustehen. Fremde Hütten hocken durstig an versumpften Brunnen. Nirgends ein Turm. Und immer das gleiche Bild.»

Dass, nimmt man alles in allem, wissenschaftliche Texte in den letzten Jahren an sprachlicher Prägnanz und stilistischer Eleganz verloren haben und oft mehr wie eine eilig zusammengeworfene Materialsammlung daherkommen anstatt wie ein argumentativ ausformulierter Text, hat wohl auch mit dieser Art von Textproduktion im Angesicht des Computerbildschirmes zu tun: Keine Berge, keine Bäume, keine Türme, bloß die versumpften Brunnen, aus denen ständig neue Worte heraufgezogen und herausgesogen werden, Worte, denen jede Klarheit mangelt, die nicht zu Begriffen werden, sondern bloß den müde gewordenen Mut zum Ausdruck bringen. Ich musste also, wollte ich diesem trostlosen «Schreiben, Schreiben, Schreiben» entgehen, eine Vermittlung einschieben zwischen mich und die gefräßige Maschine, diesen Gedankenabsauger, um das Gedachte nicht bloß loszuwerden, abzusondern, auszuspeien, sondern es zu formulieren, in Form zu bringen, nicht bloß zu strukturieren, sondern auch zu rhythmisieren, um ihm ein wenig Klang und Glanz zu verleihen – und das kann ich offenbar nur mit Papier und Tinte. Die materielle Widerständigkeit des Papiers, das Stocken des Tintenflusses, wenn die Handbewegung zu schnell wird – das alles ist eine Form von Entschleunigung, die sich gegen das Gewoge und Gezerre der Umgebung sperrt und so verhindert, dass ich von dieser verschluckt und verschlungen werde. Indem ich mit der Hand und mit Tinte schreibe, verschaffe ich mir die Zeit und Ruhe, die ich brauche, um einen Gedanken gründlich zu denken, und das heißt bei mir eigentlich immer: ihn mit etwas Sorgfalt auszuformulieren. Und dazu gehört dann auch eine Entscheidung darüber, ob man den Gedanken dahineilen oder in sich kreisen lassen will, ob er in bester Laune, in ausgelassener Heiterkeit fast, oder aber melancholisch, schwermütig daherkommt.

Es will also genau bedacht sein, ob ein Gedanke besser parataktisch oder eher hypotaktisch zu fassen ist. Der Romanist Erich Auerbach hat das in seinem großartigen Buch «Mimesis» systematisch und an Beispielen ausgebreitet: Die parataktische Nebeneinanderstellung von Hauptsätzen macht die Darstellung schnell, und das hat zur Folge, dass sich der Leser mit dem Geschehen auf Augenhöhe befindet. Er kann nur wenig vorausschauen, und weil er sich selbst schnell bewegt, kommen die Dinge auch schnell auf ihn zu. Er hat keinen Überblick, sieht die Zusammenhänge und Strukturen nicht, eilt bloß voran. Solche parataktische Darstellung setzt auf Spannung und Überraschung. Die hypotaktische Konstruktion dagegen ist ein komplexes Geflecht von um einen Hauptsatz geschlungenen Nebensätzen, temporalen und konditionalen, durch die der Zusammenhang klar wird und der Leser zu einem dem Geschehen überhobenen Beobachter avanciert. Er weiß mehr als die, die er im Auge hat. Er sieht die Dinge kommen und hat im Unterschied zu den Agierenden eine Vorstellung davon, wie man einiges vermeiden und manches besser machen könnte. Er ist ein kleiner Gott, freilich um den Preis, nicht eingreifen zu können. Er kann den von ihm beobachteten Akteuren etwas zurufen, sie warnen und auffordern, aber die hören ihn nicht. Er ist eben nur ein kleiner Gott. Der hypotaktisch generierte Beobachter bleibt eingesperrt in dem Elfenbeinturm seines Allwissens, und wenn er diesen verlässt, um sich ins Getümmel des Geschehens zu stürzen, verliert er den Überblick und verfällt umgehend den Effekten der Parataxe. Die Suggestionen des Theoretischen und des Praktischen folgen nicht zuletzt solchen grammatischen Konstruktionen. Es will somit wohl bedacht sein, für welche Form man sich entscheidet bzw. wie man beide miteinander kombiniert, und das ist – für mich jedenfalls – nicht möglich vis-à-vis mit dem Computer.

Sie werden bemerkt haben, dass ich die grammatische Generierung von Sätzen und die epistemische Ordnung des Denkens umstandslos miteinander verbunden, ja geradezu invers behandelt habe. Dass dem so ist, davon bin ich zutiefst überzeugt: Die Art des kognitiven Zugriffs und die Form der Darstellung sind aufs Engste miteinander verknüpft, und Literatur und Wissenschaft unterscheiden sich hier nur darin, dass die Wissenschaft ihr Wissen methodengestützt generiert, wodurch sie Forschungs- und Darstellungsweise voneinander trennen kann. Die Methode, die den Prozess der Wissenserzeugung für andere nachvollziehbar macht, unterscheidet die Wissenschaft von der Literatur. Aber die Form der Darstellung trägt dafür Sorge, dass nicht jeder, der das Wissen nachprüfen kann, auch dazu in der Lage ist, es entsprechend zur Darstellung zu bringen. Die Generierung des Wissens ist in der Wissenschaft also nicht unmittelbar in die Darstellung verwoben, aber auch die Wissenschaft kommt, sobald sie den engsten Kreis der Forscher verlässt, um die Herausforderung der Darstellung nicht herum. Man kann das noch an den avanciertesten Segmenten der Naturwissenschaft sehen: Vor allem sie müssen sich auf Sprachbilder einlassen, wenn sie vorstellbar machen wollen, was sie im Nanobereich oder in der Unendlichkeit des Alls beobachtet haben. Wo das nicht gelingt, existieren die Beobachtungen und Ergebnisse nur im Kopf des jeweiligen Wissenschaftlers und sind damit gesellschaftlich nicht verfügbar. Erst durch diese Verfügbarkeit aber wird aus methodisch generiertem Wissen eine auf die Gesellschaft einwirkende Wissenschaft.

Zurück zur Frage von Tinte und Papier: Sie symbolisieren für mich einen sorgfältigen und reflektierten Umgang mit der grammatischen und sprachbildlichen Darstellung, aus der dann so etwas wie ein wissenschaftlicher Stil entsteht. Auch Wissenschaft, nicht nur Belletristik, bedarf des Stils. Papier und Tinte sind die Hüter sprachlicher Sorgfalt, jedenfalls für mich. Im Übrigen gehe ich davon aus, dass die Konjunkturen wissenschaftlicher Disziplinen, ihr Auf und Ab in der fachlichen wie allgemeinen Öffentlichkeit, sich wesentlich in der Sorgfalt zeigen, die sie auf die sprachliche Präsentation ihrer Ergebnisse legen. Anders formuliert: Disziplinen, die meinen, es sei genug, wenn sie bloß die Tür zu ihren Forschungseinrichtungen öffnen und einen Blick hineinwerfen lassen, bei dem man sich dann in der Bewunderung der Messinstrumente verliert, befinden sich auf dem absteigenden Ast. Für sie interessieren sich nur noch die Angestellten der Forschungseinrichtungen selbst, die einen neugierigen oder abfälligen Blick ins Nebenzimmer werfen. Was in den Sozialwissenschaften während der letzten zwanzig, dreißig Jahre als Szientifizierung gepriesen und als Fortschritt gefeiert worden ist, ist tatsächlich, fürchte ich, bloß Selbstmarginalisierung durch einen nachlässigen und respektlosen Umgang mit dem Leser. Man sagt Wissenschaft und schreibt schlechtes Deutsch – oder noch schlechteres Englisch. Die davon Betroffenen merken das freilich nicht, weil die Selbstmarginalisierung parallel zu einem Prozess der Internationalisierung erfolgte, so dass der Austausch mit den womöglich ebenfalls nur noch auf sich selbst bezogenen Forschungseinrichtungen in aller Welt darüber hinwegtäuscht, dass es nur noch die kleine Gruppe der darin Angestellten ist, die sich für den Betrieb interessiert.

Aber genau das, so werden manche einwenden, sei der wissenschaftliche Fortschritt. Doch gerade das bezweifle ich, vor allem für die Sozialwissenschaften. Man muss sich nur die Mühe und Anstrengungen vergegenwärtigen, die Naturwissenschaftler auf sich nehmen, um, sagen wir, in «Nature» zu publizieren, die Sorgfalt, mit denen Sie Ihre Ergebnisse und Erklärungen in Grafiken fassen und diese wiederum im Text erläutern bzw. Textfassungen noch einmal in Grafiken verdichten, um möglichst gut verständlich zu sein für die, denen der Zugang zu diesen Überlegungen wie Beobachtungen schwerfällt. Den Lohn dieser Mühe bekommen sie in einer Resonanz ausgezahlt, von der Sozialwissenschaftler nur träumen können. Aber es geht nicht nur um Resonanz und öffentliche Aufmerksamkeit, sondern hier wird auch ein Kampf um die besten Köpfe einer Generation geführt. Die gewinnt man nicht durch Selbstgenügsamkeit und Selbstreferentialität, sondern durch eine Darstellung von Frage und Antwort, Problem und Lösung, die Interesse weckt und Lust am Denken verspricht. Diesem Projekt fühle ich mich zutiefst verpflichtet.

Doch zurück zum Arbeitsprozess und dem Entschleunigen durch Papier und Tinte. Es geht ja immer noch um den reflexiven Blick auf mich selbst und meinen Umgang mit den Herausforderungen der Wissenschaft. Papier und Tinte haben mich also entschleunigt, indem sie Distanz zu der gefräßigen Maschine hergestellt haben, mir Zeit zum reflexiven Formulieren verschafft haben, in der ich auch darüber nachzudenken vermag, ob es angemessener ist, einen Zusammenhang aus der Perspektive der in ihn Involvierten oder aus dem Blickwinkel des distanzierten Beobachters darzustellen, also parataktische oder hypotaktische Satzkonstruktionen zu wählen. «Theoria cum praxi» lautet der Wahlspruch der vor mehr als dreihundert Jahren von Gottfried Wilhelm Leibniz gegründeten Preußischen Akademie der Wissenschaften, deren Nachfolgeorganisation, der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften, anzugehören ich die Ehre und manchmal auch das Vergnügen habe. Die Verbindung von Theorie und Praxis geht einem leicht von der Zunge, aber die Überlegung zu den kognitiven Konstellationen, die über die je gewählte grammatische Konstruktion der Para- und der Hypotaxe generiert werden, zeigen auch die tiefe Kluft, die zwischen Theorie und Praxis, der auf Wissen programmierten Beobachtung und dem auf Eingreifen ausgerichteten Handeln liegen. Wer den Elfenbeinturm der beobachtenden Wissenschaft verlässt, zahlt dafür mit Abschlägen an Übersicht und befindet sich auf einen Schlag in einem Getümmel, in dem man leicht die Orientierung verliert. Die in der reinen Beobachtung gewonnene Ordnung geht in der Praxis schnell verloren. Das ist die größte Herausforderung des Politikwissenschaftlers. Dazu gleich mehr.

Zuvor aber will ich noch die von mir zu Beginn aufgeworfene Frage nach der großen Anzahl meiner Publikationen beantworten, nachdem ich mich danach paradoxerweise zunächst mit Überlegungen zur Entschleunigung im Produktionsprozess von Texten beschäftigt habe, anstatt etwas über die Möglichkeiten von Beschleunigung zu sagen. Das will ich nun nachholen. Ich bin, um es in variierendem Anschluss an Kleist zu sagen, einer von denen, die ihre Gedanken beim Schreiben verfertigen, ja die geradezu auf das Schreiben angewiesen sind, um einen Gedanken systematisch auszuformen. Anders formuliert: Ich kann eigentlich nur mit dem Stift in der Hand und dem Papier auf dem Schreibtisch denken, jedenfalls dann, wenn denken auch heißt: Bändigung und Systematisierung der Ideen, die kommen und gehen wie eilige Gäste und hastige Besucher. Indem ich mich hinsetze und schreibe, halte ich diese Gäste fest und nötige sie zu längerem Aufenthalt und Austausch mit mir. Das Mittel, dessen ich mich dabei bediene, ist das Schreiben. Über das Schreiben, zunächst erste Entwürfe, eher Skizzen als ausgeführte Argumente, organisiere ich den Forschungsprozess, die Sammlung von Daten und Texten, die gezielte Recherche usw. Das vorantreibende Element dieses Arbeitsprozesses ist durchweg das Schreiben. So sondiere und inspiziere ich das Terrain, um mich auf ihm einigermaßen sicher bewegen zu können. Die Folge dieses auf Textverfertigung gestützten Denkens ist, dass ich, indem ich mir etwas erkläre, es anderen immer sogleich miterkläre, und mit der Zeit ist beides eins geworden. Ich habe diese Produktivität, für die Sie mir den Dr. Meyer-Struckmann-Preis verliehen haben, eigentlich nicht bewusst angestrebt; sie ist hinter meinem Rücken entstanden, gleichsam als eine zwangsläufige Begleiterin meines Denkprozesses.

Auf diese Weise also sind die Texte verfasst worden, über die hier schon gesprochen worden ist und für die ich von Ihnen ausgezeichnet worden bin. Dazwischen steht, und das will ich ausdrücklich erwähnen, meine Sekretärin Karina Hoffmann, die mir, weil sie meine Handschrift lesen kann und das so Entstandene in den Computer einfüttert, die Beschleunigung im Produktionsprozess verschafft, welche vonnöten ist, um dem Arbeitsprozess Kontinuität und Dynamik zu verleihen. Morgens um halb sieben kommt sie ins Büro und schaut auf ihrem Schreibtisch oder im Faxgerät nach Handschriftlichem von mir, und wenn ich dann zwischen acht und neun mich selbst an den Schreibtisch setze, den in der Universität oder den zu Hause, finde ich bedrucktes Papier vor, über das ich mich hermache, um Veränderungen und Einfügungen vorzunehmen und so dem Text die Gestalt zu geben, die er nach meinen Vorstellungen haben soll. Ohne dieses Sekretariat und diese Sekretärin stünde ich heute vermutlich nicht hier. Wir sind, wenn ich das so sagen darf, wissenschaftliche Mitarbeiter und studentische Hilfskräfte selbstverständlich mit inbegriffen, jenem kleinen gallischen Dorf in seinem Widerstand gegen die immer wieder anstürmenden Römer vergleichbar, wobei wir den andringenden Veränderungen, bei denen Sekretariate verschwinden, Professoren selber tippen, Sekretärinnen bloß noch Studenten administrieren, hinhaltenden Widerstand leisten. Und was der berühmte Zaubertrank für Asterix und Obelix ist, sind für uns Anerkennungen und Ehrungen wie die heutige, die dafür sorgen, dass das auch noch eine Zeit lang so bleibt. Das heißt jedoch nicht, dass wir uns den Anforderungen des universitären Betriebs entziehen. Drittmittel werden am Lehrstuhl Theorie der Politik an der Humboldt-Universität zu Berlin in beachtlichem Umfang eingeworben, der Massenbetrieb der Prüfungen bewältigt, Promotionen vorangetrieben, administrative Aufgaben übernommen. Das alles durchaus. Aber das Besondere ist, dass sich unsere – und ich sage bewusst: unsere – Tätigkeit darin nicht erschöpft. Es gibt eben noch diese andere Seite, die ich von mir über meine Mitarbeiter bis zu Frau Hoffmann in meinem Sekretariat beschrieben habe. Gerade in Augenblicken wie diesen sollte man und will ich nicht vergessen, auf welchem Fundament ich stehe bzw. welches Fundament ich brauche, um stehen und gehen zu können. Und selbstverständlich habe ich auch diesen Text mit der Hand geschrieben, und meine Sekretärin Karina Hoffmann hat ihn abgeschrieben. Das Fest ruht auf den Routinen des Alltags. Nur wo und wenn diese funktionieren, gibt es Grund zum Feiern. Ich will und kann diese reflexive Selbstinspektion nicht beenden, ohne auf einige inhaltliche Aspekte meiner Arbeit eingegangen zu sein. Am Anfang stand, wie Sie in der Laudatio Ulrich von Alemanns gehört haben, Niccolò Machiavelli, dieser treue Diener der Florentiner Republik, der als Verderber der politischen Sitten in die Literatur eingegangen ist. Vermutlich habe ich mich für ihn als Thema der Dissertation entschieden, weil sonst keiner aus der Umgebung meines akademischen Lehrers Iring Fetscher sich mit ihm beschäftigt hatte. Hobbes und Locke waren bearbeitet worden, Rousseau und Kant, Hegel und Marx auch – aber Machiavelli war noch frei. An ihn, würde ich heute sagen, hatte sich keiner herangetraut. Machiavelli galt als vermintes Gebiet. Das reizte mich, zumal es damals, Ende der 1970er Jahre, so gut wie keine neuere deutschsprachige Literatur zu Machiavelli gab. Die Stellungen waren nach wie vor durch Hans Freyer und René König abgesteckt, und beide hatten ihre Machiavelli-Bücher im Hinblick auf Mussolini und Hitler sowie die Positionierung der Intellektuellen zu ihnen geschrieben. Das konnte und sollte, meinte ich, nicht das letzte Wort zu Machiavelli sein. Wenn ich mir das in der Retrospektive von dreißig Jahren vergegenwärtige, so war das schon ein tollkühnes Unterfangen, auf das ich mich damals eingelassen habe. Ein bisschen hat mich vermutlich der Teufel geritten. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich heute, um meine Eingangsfrage aufzunehmen und zu beantworten, rebus sic stantibus dieselbe Entscheidung wieder treffen würde.

Es waren freilich nicht nur akademische Interessen, die dafür verantwortlich waren, dass ich mich mit dem Teufel eingelassen habe, wie man Machiavelli im 16. und 17. Jahrhundert genannt hat, um vor der Lektüre seiner Schriften zu warnen. Ich habe damals relativ viel Politik getrieben, nicht Universitätspolitik, wie die meisten meiner Kommilitonen, denn die war mir zu folgenlos, sondern Kommunalpolitik, wo sich der Zusammenhang von Engagement und Ergebnis, input und output sehr viel besser und schneller beobachten ließ als in anderen Politikgebieten. Aber dazu musste, um politischen Einfluss zu gewinnen, erst einmal eine Generation von Altvorderen abgeräumt werden, die sich in den Entscheidungspositionen eingerichtet hatte. Das hat die Gruppe, die ich damals organisiert habe, recht effektiv getan, und also galt es nun zu zeigen, was wir konnten. Ich hatte somit neben den wissenschaftlichen Interessen an der Politik auch ein politikpraktisches Betätigungsfeld, und die alltäglichen S-Bahn-Fahrten zwischen Friedberg und Frankfurt waren für mich gleichsam der Wechsel zwischen Theorie und Praxis. Wenn Sie so wollen, waren diese Fahrten ein Hin und Her zwischen parataktischer und hypotaktischer Problemerfassung und natürlich immer auch der reizvolle Versuch, in die Welt des praktischen Betriebs etwas vom hypotaktisch gefassten Überblick der Theorie einzubringen, aber umgekehrt auch die Welt der notorischen Beobachter mit ihrer ausgeprägten Neigung zur normativen Überwältigung des Beobachteten durch den Bericht aus der Welt des praktischen Betriebs zu irritieren und aufzumischen.

Da lag es einfach nahe, dass ich mich für Machiavelli interessierte, der vierzehn Jahre lang in leitender Position der Republik Florenz zuverlässig und treu gedient hatte und dann gestürzt, inhaftiert und aus Florenz verbannt worden war. In der Zurückgezogenheit seines Albergaccio, von wo aus er in der Ferne die Türme von Florenz sehen konnte, fing er an, systematisch über Politik nachzudenken. Er las, wie sich das für die Renaissance gehört, lateinische Autoren und beschäftigte sich mit römischer Geschichte. Warum, so fragte er sich, ist den Römern gelungen, woran die Florentiner – also auch er selbst – ein ums andere Mal gescheitert sind?

Machiavelli wurde zum Komparatisten, indem er nicht nur Florenz und Rom miteinander verglich, sondern systematisch ein antikes und ein zeitgenössisches Beispiel wählte, dieses hinsichtlich Erfolg und Misserfolg in der jeweiligen Zeit verdoppelte und auf diese Weise versuchte, etwas über die Erfolgsbedingungen politischen Handelns herauszubekommen. So jedenfalls habe ich Machiavellis methodischen Zugriff und seinen Anspruch auf wissenschaftliche Prognosen damals rekonstruiert. Und so würde ich es wohl heute wieder tun. Machiavelli interessierte mich also im Hinblick auf die spezifische Herausforderung, die er an Theoriebildung stellte: Was ließ sich aus einer gelehrten Beobachtung gegenwärtiger und vergangener Ereignisse und Handlungen für zukünftiges Agieren lernen? Das war die Fragestellung, im Hinblick auf die er seine Werke verfasst hat. Die Theorie sonderte sich hier nicht ab, um intellektuelle Glasperlenspiele zu betreiben, während der politische Betrieb weiterlief, aber sie diente sich auch nicht für allerlei Fragen des Verwaltungshandelns an, sondern stellte die Frage nach den grundlegenden Ursachen politischen Erfolgs und Scheiterns. Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage war, wie die Herausforderung, die Art der Krise, auf die eine Antwort gefunden werden sollte, begriffen und beschrieben wurde. Krisen sind in der Regel sehr umfängliche Problemkonstellationen, in denen ganz unterschiedliche Entwicklungen zusammenfließen. Es kommt darauf an, diejenigen Elemente herauszugreifen, über die sich Hebelwirkung auf den Fortgang des Geschehens entfalten lässt. Das ist eine Frage des analytischen Blicks, aber danach auch der Darstellung, mit der andere von diesem Ansatz überzeugt werden, um bei seiner Anwendung mitzuwirken. Das hat mich beschäftigt und tut es bis heute: Wie wird ein Problem wahrgenommen und aufgearbeitet, um anschließend bearbeitet werden zu können?

Das unterschied und unterscheidet im Übrigen meine Herangehensweise von der damals in einer Reihe von Publikationen, von Pococks «The Machiavellian Moment» bis zu Skinners «Foundations of Modern Political Thought», hegemonial werdenden Cambridge School, die sich vor allem für die Verknüpfung von Semantik, Syntaktik und Pragmatik der Argumentation in der Theoriekonstitution interessiert. Das hatte den methodischen Chic des «linguistic turn» auf seiner Seite. Damit kann man kluge Bücher schreiben, die freilich im Turm einer weitgehend historisierenden Beobachtung eingeschlossen bleiben. Machiavelli wird dabei zum Strategen semantischer Manöver, und der «Principen» erschöpft sich in einer Revision des ciceronischen Tugendkatalogs. Mich dagegen interessierte die Krise von Florenz, die ökonomischen und sozialen, politischen und kulturellen Verwerfungen, die Machiavellische Perzeption dessen und die Antwort, die er formuliert hat, um der Krise Herr zu werden. Was ich damals am Objekt meiner Beobachtung untersucht habe, habe ich später zum Gegenstand meiner eigenen Fragen gemacht: Von der Arbeit über die «neuen Kriege» zu der über die Rolle von Imperien bei der Gestaltung von Weltordnungen bis zum jüngsten Buch über mythische Narrationen bei der Identitätsbildung politischer Verbände und deren Festlegung von Handlungsabfolgen. Davon haben Sie schon einiges gehört, das muss ich nicht wiederholen.

Ich danke der Philosophischen Fakultät der HeinrichHeine-Universität Düsseldorf und der von ihr eingesetzten Jury, dass sie mich des Dr. Meyer-Struckmann-Preises 2009 für würdig befunden und als Träger ausgewählt haben.