Als mein „Grußwort“ möchte ich Ihnen die Preisträgerin, die Frühneuzeithistorikerin und Bestsellerautorin Frau Stollberg-Rilinger gerne vorstellen. Angesichts der gebotenen Kürze ist es eine notwendigerweise sehr subjektive Auswahl ihrer Forschungen und ihres wissenschaftlichen Wirkens, beginnen möchte ich dabei mit ihrem jüngsten Werk, der Biographie Maria Theresias.

Monumentalisch ist eine Geschichtsschreibung, die die Vergangenheit in den Dienst von Hoffnungen und Erwartungen der Gegenwart stellt: „Geschichte als Mittel gegen die Resignation“, so greift Frau Stollber-Rilinger Friedrich Nietzsches berühmte „Unzeitgemäße Betrachtung. Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ in ihrer Biographie „Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit“ auf. Die Geschichtsschreibung als Monument der Vergangen lehrt, so Nietzsche weiter, „dass das Große, das einmal da war, jedenfalls einmal möglich war und deshalb wohl wieder einmal möglich sein wird.“ Allerdings muss eine solche Geschichtsschreibung dafür ihrer Zeit enthoben, das Generelle betont und die Unterschiede zwischen Vergangenheit und Gegenwart müssen eingeebnet, „die scharfen Ecken und Linien der individuellen Vergangenheit zugunsten der Übereinstimmung zerbrochen werden.“ Frau Stollberg-Rilingers 2017 erschienene, etwa 1000 Seiten schwere Biographie ist nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit dieser Funktion von Geschichte, überzeitliche Identifikationsangebote von nationaler Größe bereitzustellen und den durchaus erwachsenen durchaus weitreichenden politischen Folgen. Das monumentalistische Geschichtsbild Maria Theresias, so die Autorin, entstand in der Mitte des 19. Jahrhunderts, in dem Moment, als die scheinbar ewige Habsburgermonarchie Schritt für Schritt auseinanderbrach, als man das alte Dokument der Vorrangstellung Österreichs, das Privilegium maius, und mit ihm den roten Erzherzogshut als dreiste Fälschung des Habsburgers Rudolfs IV. anerkennen musste. In diesen Jahrzehnten ist die Geschichte ewiger Größe habsburgischen Österreichs gleichsam in der Gestalt Maria Theresias geronnen, dieser höchst außergewöhnlichen Frau, die männliches Heldentum und weibliche Tugend in sich vereinte, wie selbstverständlich die vielen Rollen als Herrscherin und treue Gattin, als sechszehnfache Mutter, die sensationelle Fruchtbarkeit mit tatkräftiger Herrschaft verband, die Habsburgische Herrschaft wundersam vor dem Zugriff der Feinde rettete und zur Schöpferin des modernen Österreich wurde.  „Der Suggestionskraft dieser Meistererzählung kann man sich kaum entziehen“, so Frau Stollberg-Rilinger, „aber sie steht zwischen uns und der historischen Gestalt Maria Theresias und versperrt uns die nüchterne Sicht auf sie.“ Anders als in Nietzsches monumentalistischer Historie, so die Autorin, „sollen die Gräben zwischen der Vergangenheit und heute nicht eingeebnet, sondern bewusst eine Perspektive der Fremdheit eingenommen werden. Es soll keine falsche Vertrautheit mit Maria Theresia aufkommen: Man muss sich die Heldin vom Leibe halten.“  

Meisterhaft entwickelt sie aus diesem Gegensatz einen die tausend Seiten mit Leichtigkeit tragenden Spannungsbogen und stellt das monumentale Bild der Maria Theresia einem bisweilen brüchigen und widersprüchlichen gegenüber, wie es die Quellen zu erkennen geben. Das alles ist methodisch stets reflektiert in Bezug auf die eigene Erzählperspektive und mit sicherem Blick für die verschiedenen Rollen, in denen sich ein solches Leben beschreiben lässt.

Die Biographie gilt als Königsdisziplin der Geschichtsschreibung und sie ist es auch, vor allem weil die Protagonistinnen oder Protagonisten mit zunehmender Beschäftigung eine so erhebliche Sogkraft entwickeln können, dass der analytische Abstand irgendwann kapituliert. Dieser Gefahr der biographischen Gattung ist Frau Stollberg-Rilinger in eindrucksvoller Weise entkommen. Sie versucht nicht, die Person hinter der Herrscherin zu entdecken, den vermuteten Kern ihrer Protagonistin zu erfassen, von dem aus sich all ihr Handeln, ihre Intention und letztlich ihre Persönlichkeit erklären lässt, sondern respektiert die Tatsache, dass ein solches Unterfangen bei dem Abstand von 300 Jahren, grundsätzlich anderer Bedingungen, Normen und Lebenswirklichkeit der Standesgesellschaft zum Scheitern verurteilt und anachronistisch wäre. Leben und Wirken der Maria Theresia werden vielmehr wie von außen erfasst, als Phänomene, so wie wir sie heute noch erkennen können in all ihrer Vielfalt und Widersprüchlichkeit. Diese Phänomene werden beschrieben und beschreibend analysiert und zwar sowohl die historischen als auch die, die Geschichtsschreibung in den zurückliegenden Jahrzehnten aus ihr gemacht hat. Die biographische Abenteuerreise gelingt wie ein sehr guter Kinofilm, der erzählend enthüllt und dabei im tieferen Sinne erklärt, den Leser in Abgründe, Skurriles und herzerwärmendes, menschliches, hintergründig gruseliges und zutiefst humorvolles blicken lässt – eben auf das Leben. Dabei geraten ganz zwangslos auch solche Dinge wie die Impfpolitik der Kaiserin oder der öffentliche Umgang mit Sexualität in den Blick, die weit über die Person Maria Theresias hinaus dem Leser ihre Zeit erschließen.

Diese Biographie ist in jeder Hinsicht eine große Bereicherung, für alle ihre Leser und für die Geschichtswissenschaft. Sie bietet für die schwierige Königsdisziplin ‚Biographie‘, die bisweilen schwer unter der forcierten Produktion der Jubiläumsjahre leidet, einen spannend zu lesenden Gegenentwurf, der sicher noch lange nachwirken wirkt. Dieses Buch hat übrigens  nicht nur den Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse erhalten, sondern wird auch von Wolfgang Schäuble persönlich empfohlen.

 Die Vormoderne ist höchst aktuell, das ist eine wesentliche Erkenntnis der Leserinnen und Leser der Forschungen von Frau Stollberg-Rilinger. Der Meyer-Struckmann-Preis wird für das wissenschaftliche Lebenswerk verliehen, weshalb noch einige wenige herausragende Leistungen genannt werden sollen. Ihre akademische Karriere begann Frau Stollberg-Rilinger in Köln, wo sie studierte und 1985 ihre Promotion mit dem Titel „Der Staat als Maschine. Zur politischen Metaphorik des Fürstenstaates“ geschrieben hat. Damit war auch schon „der Ton gesetzt“, das tiefe Interesse an dem Hl. Römischen Reich deutscher Nation, dem ihre Arbeiten in europäisch vergleichender Weise im Wesentlichen gewidmet sind. Sie alle prägt ein genuines Interesse am Politischen als kulturelles Phänomen. In Köln hat sie sich auch habilitiert, aber nicht bei Wolfgang Schieder sondern bei dem Absolutismusforscher Johannes Kunisch. Mit der Habilitation 1994 „Vormünder des Volkes. Konzepte landständischer Repräsentation in der Spätphase des Alten Reichs“, rücken die politischen Rituale und rituelle Gesten als historisch gestaltendes Element in den Blick, indem sie der wegweisenden Frage nachgehend: „Welche Bilder erfindet die Macht, um ihre Herrschaft zu legitimieren und wie wirken diese Bilder auf die Macht selbst zurück“? 1997 wurde sie als Ordinaria nach Münster berufen, wo sie bis zum Sommer 2018 gelehrt hat. Zusammen mit dem Mediävisten Gert Althoff, der Mittellateinerin Christel Maier-Staubach und anderen Münsteraner Kollegen hat sie den Münsteraner Sonderforschungsbereich „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme“ auf die Beine gestellt und später  maßgeblich das einzige geisteswissenschaftliche Cluster „Religion und Politik“ entworfen, das inzwischen in der dritten Förderphase ist. Das alles hat in Münster nicht zuletzt mit der besonderen - und besonders vertrauensvollen Zusammenarbeit der Kolleginnen und Kollegen aus ganz verschiedenen Disziplinen zu tun. Eine „Kultur der Zusammenarbeit“, wie es Gert Althoff mir erklärte, als ich 2007 nach Münster kam. Die Forschungsarbeiten und die vielen Verbundprojekte sind natürlich auch und zu allererst ein Ergebnis ungeheurer Arbeitsdisziplin. 2004 bis 2008 war sie als stellvertretende Vorsitzende im Vorstand des Historikerverbandes und hat daran mitgewirkt, dass eins Geschäftsstelle eingerichtet werden konnte. 2008 erschien die Monographie „Des Kaisers alte Kleider: Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reichs“, für das sie als erste Frau den Preis des Historischen Kollegs erhielt. Bereits 2005 hatte sie den hoch renommierten Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhalten. 2013 erschien der Band „Rituale. Vom vormodernen Europa bis zur Gegenwart“, eine Zusammenfassung der langen Jahrzehnte interdisziplinärer Forschung wie sich Rituale formen und ihre Wirkungen systematisch fassen und beschreiben lassen. Aber selbst bei diesen Arbeiten, die von der Systematik ausgehen und Strukturphänomene beschreiben, sind es keine schwerverständlichen Theoriewelten, mit denen der Leser konfrontiert wird, sondern alles wird aus der Perspektive des Menschlichen, des mitfühlenden und mitdenkenden Betrachters erfasst, mit der Empathie für die kleinen und größeren Schwächen der Menschen, mit einem inneren Augenzwinkern und großer Freude am Skurrilen, an gewollter und ungewollter Komik. Entscheidende Erkenntnis erwächst vor allem daraus, dass in der Regel das nicht beachtete, die Rand- und Rahmenbedingungen des Geschehens und Verstehens aufgedeckt und in ihren vielfältigen Funktionsweisen dem Leser erklärt werden.

Prof. Dr. Eva Schlotheuber

Seit 2010 Professorin für Mittelalterliche Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, davor Professorin für Mittelalterliche Geschichte und Historische Grundwissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (2007-2010). Seit 2016 Vorsitzende des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e.V. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte der Kultur- und Lebenswelt der religiösen Frauengemeinschaften, die mittelalterliche Bildungsgeschichte sowie die politische Theorie und Herrschaftspraxis im 14. Jahrhundert.