Es sind jetzt 30 Jahre her, dass die Universität Düsseldorf den Namen Heinrich Heines trägt. Sie wissen, dass dieser Benennungsprozess mit einigem historischen Knirschen verbunden war, aber davon soll jetzt nicht die Rede sein. Stattdessen von den seither dauernden Fragen an die Universität, was denn dieser Name ihr an moralischen Verpflichtungen auferlege.

Diese Fragen haben uns damals schon etwas genervt. Denn zuallererst ist die Namensgebung eine Liebeserklärung an den großen Dichter. Und aus Liebeserklärungen folgen nicht immer gleich moralische Verhaltenserwartungen. Zudem sind Poeten vom Format Heines viel unbedingter, viel radikaler als eine Universität es je sein sollte. Auch haben Universitäten vorsichtig zu sein, wenn sie sich ins Öffentliche einmischen. Zwar sind sie geistige Institutionen, aber gerade deshalb dürfen sie sich nicht abnutzen etwa im politischen Streit. Und doch ist unserer Universität mit dem Namen Heines natürlich ein Auftrag zugewachsen. Ich nenne es den Auftrag zur Wachsamkeit. In einer öffentlichen Debatte, in der ein neuer Nationalismus stark geworden ist, in der Skepsis und Ablehnung gegenüber dem Fremden deutlich zunehmen, in der ein oft inhumaner Populismus an Einfluss gewinnt, da muss eine Universität, die den Namen Heines trägt sich überlegen, ob und wie sie sich dazu äußert.

Warum sage ich das hier? Deshalb, weil ich eine Stiftung vertrete, die aus einem verwandten Geiste entstanden ist.

Fritz Meyer-Struckmann war, wie Sie wissen, ein erfolgreicher Banker. Damals sagte man noch Bankier, auch wenn er nicht Eigentümer der Bank war. Er war eine einflussreiche Gestalt in der Welt des Geldes, der Wirtschaft und der Politik – also das, was man seither treffend den rheinischen Kapitalismus nannte. Aber seine Stiftung für Geisteswissenschaften und Volksbildung ist eine Stiftung aus dem Geiste des "Nie wieder!“. Ihm und vielen seiner Generation war das nationalsozialistische Unheil eine kaum vergangene Gegenwart. Und so ist diese Stiftung sehr bewusst entstanden aus einem christlichen Humanismus, dem Meyer-Struckmann in der Begegnung mit Konrad Adenauer und später auch Johannes Rau nahe kam. Erstaunlich gewiss sein naives Vertrauen, dass die Geisteswissenschaften zur einer, wie man damals sagte, humanen Volksbildung beitragen könnten. Ich meine, ich glaube das auch, dass die Geisteswissenschaften das können oder können müssen – aber wer sonst noch?

Das Fazit dieser Überlegungen liegt nahe: Die Verpflichtung, die unser Stifter uns aufgibt und die Verpflichtung, die die Universität durch ihren Namensgeber erfährt, haben viel gemeinsam. Es sind Grundwerte, an die wir aus leider gegebenem Anlass erinnern sollten.

Ich danke Ihnen.

Prof. Dr. Dres. h.c. Gert Kaiser

Rektor der Heinrich Heine-Universität von 1983 bis 2003. Vorsitzender der Meyer-Struckmann-Stiftung. Studium der Germanistik und Romanistik in Heidelberg und München. Promotion (1964) und Habilitation (1970). Ruf auf den Lehrstuhl für Ältere Germanistik in Düsseldorf (1977). Wissenschaftliche Beiträge und Bücher zur Literatur des hohen und späten Mittelalters.