Magnifizenz Steinbeck, Spectabilität Rosar, verehrte Festgemeinde,
und vor allem verehrte, liebe Frau Stollberg-Rilinger,

ich bin dankbar für die Ehre, heute hier Frau Professorin Stollberg-Rilinger zu dem ihr verliehenen Meyer-Struckmann-Preis gratulieren zu dürfen. Der eben geäußerten Erwartung, ich würde eine Laudatio halten, muss ich allerdings widersprechen. Ich bin von Hause aus Staatsrechtslehrer und nicht Historiker. Als Akademiepräsident wurde mir zwar mit dem Amt auch der Amtsverstand geliefert, aber denn doch nicht so viel, dass ich das Werk einer Historikerin der frühen Neuzeit würdigen könnte.

Mich dürfen Sie im Übrigen nicht fragen, ob ich diese Auswahlentscheidung treffend und billigenswert finde. Ich bin in dieser Frage als befangen von der Urteilsbildung ausgeschlossen, weil ich den Verleihungsvorschlag selbst gemacht habe.

Davon abgesehen: Kaum je habe ich persönlich eine Verleihung für richtiger gehalten als diese, wenn es darum geht, einen Historiker, eine Historikerin zum Themenfeld der „Geschichte der frühen Neuzeit“ zu ehren. Auch dass die Ehrung einem Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Künste unseres Landes gilt, freut mich natürlich ganz besonders. Der Preis ist außerdem, wie ich gelesen habe,  – jedenfalls mittelbar, weil es von seinem Gelde geschieht - von einem Juristen ermöglicht, was den Staatsrechtslehrer freut, der an dieser Stelle auch gerne erwähnt, dass Frau Kollegin Stollberg-Rilinger Mitherausgeberin eines der wichtigsten Journals der Staatsrechtslehre ist, nämlich der Zeitschrift, die ihren Gegenstand in ihrem Namen trägt: „Der Staat“.

Damit bin ich bei dem Thema, das unsere Preisträgerin umtreibt: Wahrscheinlich hat sie früh in ihrer Studienzeit den Text des Severinus de Monzambano alias Samuel Baron Pufendorf gelesen – ich glaube, sie hat alles zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gelesen. Dann hat sie dort das berühmte Diktum gefunden, das Reich sei einem ‚monstro simile‘, was allerdings nur meinte, es gelinge nicht, das Reich in die aristotelische Staatsformenlehre einzupassen. Sie hat offenbar beschlossen, diesem Monstrum in seiner damaligen Welt ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Dabei hat sie sich in ihrer schließlich auch verfassungsgeschichtlich orientierten Sicht, von einem im Kern juristischen Zugriff glücklicher Weise ferngehalten. Juristen glauben nämlich, Geschichte sei eigentlich ein Fall, den sie dann doch auch mit ihren Mitteln behandeln könnten, d.h. man schreibt als erstes oben auf das Blatt „Tatbestand“ oder „Sachverhalt“ und dann lässt man sich die Akten kommen und schreibt das auf, was sich in den Akten findet und glaubt sich schon Leopold von Ranke nahe, weil man aufschreibe, was gewesen sei.

Natürlich kennt Frau Stollberg-Rilinger auch alle diese Akten, die es dann verfassungsgeschichtlich erlauben, aus dem Alten Reich alle möglichen sympathischen Traditionslinien abzuleiten; das Reichskammergericht, zu dem Ricarda Huch die schöne Formel gefunden hat, es sei geschaffen, um mit den Mitteln des Rechts zu schlichten, was sonst mit dem Schwert ausgetragen würde (aus dem Gedächtnis zitiert), ist dann Vorläufer des Bundesverfassungsgerichts und die Verbindung der Reichsglieder in einem lockeren Verbund weist dann voraus auf eine notwendig föderale Verfassungsordnung in Deutschland und auch auf die staatenbündische  Europäische Union. Nebenbei: Man darf die Analogien nicht zu weit treiben. Gegen Ende des Alten Reiches hatte Hegel, den unsere Preisträgerin in ihrem höchst spannenden Buch „Des Kaisers Alte Kleider“ im Titel paraphrasiert, also Hegel hatte das Alte Reich mit einem Baum verglichen, dessen Früchte ihm zu Füßen liegen, um die Verselbständigung der zu Staaten gewordenen Reichsglieder zu beschreiben. An Tagen, an denen Italien meint, in der Europäischen Union offene Obstruktionspolitik treiben zu dürfen, hofft man, dass nicht am Schluss das Hegel-Bild der Reichsverfassung Wahrheit wird. Aber ich schweife ab, pardon.

Frau Stollberg-Rilinger wiederholt zu alle dem nicht variantenreich das letztlich Bekannte, sondern wählt einen anderen Ansatz, der zu neuen Einsichten führt.

Erlauben Sie mir bitte eine triviale Annäherung, Sie, liebe Frau Stollberg-Rillinger, sehen mir das Triviale bitte nach: Wenn ich das Wort repraesentatio zu erklären hatte, habe ich den Studierenden geraten, wenn sie es eben könnten, eine Pabstmesse zu besuchen. Wahrscheinlich tut es eine Kardinalsmesse auch – ich kenne mich da nicht aus -. Es würde ihnen dann deutlich was „Vergegenwärtigung“ – hier der Heiligen römisch-katholischen Kirche – in einer Person eigentlich bedeutet. Dann wird einem auch klar, dass es in Karlsruhe zu einem protokollarischen Problem wurde, als die Kanzlerin anlässlich der Entlassung und Neubestellung von Richtern zusammen mit dem Bundespräsidenten den Sitzungssaal betreten wollte. Das Bundesverfassungsgericht, wie alle Besucher, erhebt sich selbstverständlich, wenn bei einem Festakt der Bundespräsident den Raum betritt. Er vergegenwärtigt die Bundesrepublik Deutschland, deren Recht auch das Bundesverfassungsgericht dient. Für die Regierung gilt das nicht; ihr begegnet das Gericht in der Gleichordnung des Verfassungsorgans unter Verfassungsorganen. Und dienen tut es der Regierung bestimmt nicht. Also musste Bundespräsident Gauck alleine den Saal betreten, hinter sich in geziemendem Abstand die Bundeskanzlerin.

Die Sinngebung eines solchen Verhaltens wird nicht expliziert; es wird intuitiv richtig gemacht und in der Befolgung nicht in Frage gestellt. Die Nichtbefolgung wird hingegen zur politischen Demonstration, etwa wenn Werner Liebknecht bei der Einweihung des Reichstags beim Ausbringen des Kaiser-Hochs sitzen bleibt.

Unsere Preisträgerin hat sich erkenntnisreich der Historischen Semantik verschrieben, was eben so schöne Bücher hervorbringt, wie die schon genannten ‚Alten Kleider des Kaisers‘. Sie verfolgt die politisch-gesellschaftlichen Umbruchs- und Transformationsprozesse zwischen Mittelalter und beginnender Moderne. Sie untersucht, wie es in der Laudatio für die Aufnahme als Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Künste heißt, „insbesondere die Metaphern und Bilder, die rituellen Repräsentationen und Inszenierungen, die historische Akteure erfinden, um ihre Macht, ihre politischen Ziele und Handlungen zu legitimieren. Dazu gehören gerade auch rechtliche Verfahren von Ständeversammlungen, Reichstagen, Friedenskongressen und anderen an Regierung und ‚Verfassung‘ beteiligten Gremien.“ Die Arbeiten belegen, dass solche Metaphern durchaus eine „machtvolle Eigengesetzlichkeit entwickeln konnten und damit den Schöpfern aus den Händen glitten.“ Ich füge hinzu: Unter der Hand unserer Preisträgerin wird Sichtbares, aber Unverstandenes, wieder sichtbar und verstehbar.

Wie fruchtbar dieser Ansatz ist, zeigt sich, wenn er in eine analytische Gesamtdarstellung einfließt, wie die gerade wieder neu aufgelegte „Kurze Geschichte“ des Heiligen Römischen Reichs beweist. Dem Buch ist gerade die Ehre einer Übersetzung ins Englische angediehen mit einem Vorwort des in Princton lehrenden Yair Mintzker, was wiederum eine Auszeichnung für sich ist.

Ich breche hier meinen Glückwunsch auch schon fast ab. Ich will aber, obwohl ich nach den mir gegebenen Hinweisen zu ‚Maria Theresia‘ nichts sagen soll, aber doch noch eine Bemerkung machen zu dem, was mir dieses Buch, wie auch die ‚Alten Kleider‘, jenseits des Inhalts verdeutlicht haben. Ich sage dies nochmals in den Worten der Laudatoren für die Akademieaufnahme: „All dies beschreibt Frau Stollberb-Rilinger in schön gestalteten, jedem Jargon abholden, - ja, meine Damen und Herren, es geht ohne Jargon, es ist nachlesbar bewiesen -, jederzeit anregenden, gründlich durchgearbeiteten Texten. Sie ist nicht nur eine vorzügliche Historikerin, sondern zugleich auch eine kongeniale Historiographin, deren Werke nicht nur wissenschaftlichen Gewinn, sondern auch literarischen Genuss bedeuten.“ So bringt sich auch noch Theodor Mommsen in Erinnerung, was die wissenschaftliche und literarische Qualität des Werkes betrifft. Weiter wollen wir die Anrufung des großen Historiographen aber nicht treiben, weil er ein schlechter Universitätslehrer war.

Liebe Frau Stollberg-Rilinger, ich versichere Ihnen, Sie sind eine überaus würdige Preisträgerin. Und ich füge hinzu: Solche Ehrungen sind immer doppelseitig: Sie ehren den oder die zu Ehrende und dessen oder deren Glanz strahlt auf die Ehrenden zurück. Glauben Sie mir bitte, die Juroren werden gerade von Ihnen intensiv bestrahlt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Prof. Dr. Wolfgang Löwer Jahrgang

Jahrgang 1946, rechtswissenschaftliches Studium von 1966-1971 in Bonn, 1975 Zweite Juristische Staatsprüfung , Promotion 1978 und Habilitation 1984. Nach Stationen in Münster und Berlin, Berufung auf den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Wissenschaftsrecht an der Universität Bonn. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt in den Bereichen Staats- und Verwaltungsrecht, Wissenschaftsrecht sowie Energierecht. In den Jahren 2006-2014 war er Richter am Verfassungsgerichtshof Nordrhein- Westfalen. Seit 2006 ist Professor Löwer Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste und seit 2016 deren Präsident.