Meine sehr verehrten Damen und Herren, als Dekan der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf darf ich Sie zur diesjährigen – zehnten – Verleihung des Meyer-StruckmannPreises für herausragende geistesund sozialwissenschaftliche Forschung begrüßen.

Besonders herzlich begrüßen möchte ich den Vorsitzenden der Meyer-Struckmann-Stiftung, Herrn Altrektor Prof. Dr. Dres. h. c. Kaiser und die Vorstandsmitglieder der Stiftung, Herrn Prof. Schlink und Herrn Dr. Rometsch,

die Rektorin unserer Universität, Frau Prof. Steinbeck, den Kanzler unserer Universität, Herrn Dr. Goch,
die Prorektorin für Internationales, Frau Prof. von Hülsen-Esch, die Vorsitzende des Hochschulrates, Frau Paulsen,

den Vorsitzenden des Senats, Herrn Prof. Baurmann,
die anwesenden Altdekane der Philosophischen Fakultät (Herrn Prof. von Alemann und Herrn Prof. Bleckmann) und die anwesenden Dekane der anderen Fakultäten der Heinrich-Heine-Universität, Ehrensenatorin Frau Dr. Betz,
den Präsidenten der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Heinrich-Heine-Universität, Herrn Dörrenberg,
den Honorarkonsul des Königreichs Jordanien, Herrn Gielisch,

Herrn Bürgermeister Conzen in Vertretung des Oberbürgermeisters Herrn Geisel,
Herrn Prorektor Prof. Kalisch als Vertreter der Robert-SchumannHochschule,

sowie – ganz besonders herzlich – unseren diesjährigen Preisträger, Herrn Prof. Dr. Winfried Schulz und seine Gattin, Frau Schulz-Sajo.

Es gibt immer wieder Bilder, die zum visuellen Symbol für bestimmte Ereignisse werden. Die Geschehnisse, für die sie stehen, sind untrennbar mit ihnen verbunden und solange wir uns an die Ereignisse erinnern, gehen die Bilder unweigerlich – und in der wahren Bedeutung des Wortes – als deren Sinnbild in unser kollektives Gedächtnis ein.

Nimmt man als ein positives Beispiel für diese Verknüpfung eines Ereignisses mit einem Bild die ehrenamtliche Hilfsbereitschaft, mit der viele Bürgerinnen und Bürger unseres Landes seit diesem Sommer den Flüchtlingen begegnen, die hier zu uns nach Deutschland kommen, ist es vielleicht dieses Bild:

Am Bahnhof in München kommt eine große Gruppe von Flüchtlingen aus Syrien, Irak und Afghanistan an. Die Menschen wirken erschöpft, aber auch erleichtert; manche lächeln. Sie werden empfangen von einem Spalier von Bürgerinnen und Bürgern der Stadt, die offenbar von der Ankunft wissen und über die verzweifelte Lage der Flüchtlinge bereits informiert sind. Sie möchten ihnen geben, was die Ankommenden in ihrer Notlage akut entbehren: Wasser und Nahrung, aber auch Spielsachen für die Kinder. Vor allem wollen sie mit ihrem freundlichen Applaus zeigen, dass die Flüchtenden nach all den Mühen und Qualen ihrer Flucht hier willkommen und endlich in Sicherheit sind.

Indem die Medien diese Szene allgemein verbreiten, wird aus ihr mehr als ein flüchtiger, situativer Akt der Wohltätigkeit einiger Hundert Münchner Bürgerinnen und Bürger. Die Szene wird zum Schlüsselbild, zum anschaulichen Symbol für die „Willkommenskultur“, die ein Teil der Gesellschaft praktizieren will. Als solches Symbol wird das Medienbild zum Kontrastpunkt für das „Dunkeldeutschland“, wie es der Bundespräsident genannt hat, und damit zu einem wesentlichen Bezugspunkt für die aktuell heftig geführte politische Kontroverse, wie mit der Vielzahl der Flüchtlinge umgegangen werden soll. Ob und wie sich das Bild der schwerbewaffneten Soldaten unter dem Eiffel-Turm – als mediales Sinnbild der Reaktionen auf die Anschläge in Paris vom 13. November – als weiter Bezugspunkt in diese Kontroverse einfügen wird, bleibt abzuwarten. Unwahrscheinlich ist dies wohl nicht.

Doch bereits das Entstehen der Willkommensszene im Sommer und dann auch ihre weitere Rolle im politischen Diskurs verweisen auf die bemerkenswerten Leistungen der Medien:

Medien erweitern unser Blickfeld. Sie führen uns vor Augen, was jenseits unserer persönlichen Welt geschieht und doch in sie hineinreicht. Sie zeigen uns die Kriege im Nahen Osten; sie führen uns die Ankunft der Flüchtlinge vor; sie erzählen uns, was Politikerinnen und Politiker dazu sagen oder tun; und sie machen für alle wahrnehmbar, auf welch gegensätzliche Art und Weise wir, die Deutschen, damit umgehen.

Darüber hinaus wissen wir im selben Moment, in dem wir die Botschaften sehen und uns einen Reim darauf machen, dass auch alle anderen dieselben Botschaften empfangen und dazu eine Haltung herausbilden. Damit müssen wir rechnen.

Das Beispiel zeigt: Medien fungieren als soziale Apparaturen, die aus der Wahrnehmung der Realität und der daraus folgenden Meinungsbildung einen gesellschaftlichen Prozess machen. Medien prägen diesen Prozess.

Die herausragende Rolle, die Medien in unserem Leben spielen, bleibt selbstverständlich nicht unbemerkt. Sie erzeugen immer wieder geradezu fantastische Vorstellungen von der Macht der Medien.

Auf der einen Seite gibt es äußerst optimistische Vorstellungen von ihrem Nutzen. Legendär ist der Satz des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, zum Regieren brauche er nur Bild, BamS und die Glotze. Es scheint, als habe der sogenannte „Medienkanzler“ darauf gebaut, er könne mit Hilfe der Medien die Meinung der Massen nach Belieben steuern – und zwar unabhängig davon, was diese Massen von seiner Regierungskunst im Alltag spüren. Wir wissen unterdessen: Wenn Schröder die Medien brauchte, dann standen sie ihm jedenfalls nicht zur freien Verfügung. Und es liegt weder in ihrer Macht, noch beschreibt es deren Funktionsweise, dass sie Weltanschauungen in Umlauf bringen, die sich von der Anschauung der Welt völlig freigemacht hätten.

Auf der anderen Seite provoziert die spürbare Macht der Medien aber auch – nicht selten weit überzogene – Ängste. Die gesellschaftliche Durchsetzung eines jeden neuen Mediums ist stets von der ängstlichen Erwartung begleitet worden, es könne die vertrauten und verlässlichen Routinen des Zusammenlebens, das von Sitte und Anstand in geordneten Bahnen gehalten wird, aufbrechen und nichts als Chaos hinterlassen.

Diese Angst klingt gegenwärtig bei manchem Kommentar zur Kommunikation in der Netzwelt durch. Sie war ebenso virulent beim Aufkommen des Fernsehens, beim Entstehen der Massenpresse oder – historisch noch weiter zurückgeblickt – bei der Einführung des Buchdrucks.

Stets ging und geht die Furcht um, Grundlagen der Zivilisation würden in Frage gestellt: Die Zügelung der Leidenschaften, ein bedächtiges Abwägen der Angelegenheiten von allgemeinem Belang, soziale Empathie. Nimmt man diese Sorgen beim Wort, muss es verwundern, dass es Menschen immer noch gelingt, sich zu verständigen, zusammen zu leben und manchmal sogar füreinander einzustehen.

Offenbar benötigt eine Gesellschaft, die ihren Medien – im Positiven wie im Negativen – derart viel zutraut, Aufklärung, damit sie sich selbst besser versteht. An die Stelle von Fantasien, die mal von auftrumpfendem Interesse, mal von beklommener moralischer Voreingenommenheit inspiriert werden, muss das nüchterne Urteil der Vernunft treten.

Darum hat sich Winfried Schulz in herausragender Weise verdient gemacht.

Winfried Schulz ist ein Aufklärer.

Er hat das Nachdenken über den Einfluss der Medien auf das Weltbild der Menschen auf die solide Grundlage wissenschaftlich prüfbarer Tatsachen gestellt. In seinem Frühwerk über „Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien“ von 1976 bestimmt er analytisch die Regeln, nach denen Journalisten entscheiden, was eine Nachricht wert ist. Mit diesen sogenannten „Nachrichtenfaktoren“ hat Schulz zugleich die Prinzipien ermittelt, nach denen Weltbilder in den Medien konstruiert werden. Sein Schüler Helmut Scherer beschreibt die Leistung dieser Studie so: Schulz sei es damit gelungen, „dem Nachrichtenwertansatz [. . .] eine theoretische Grundlage zu geben und gleichzeitig eine angemessene Empirie zu entwickeln“.

Bei dieser Studie ist es nicht geblieben. Es folgen Arbeiten von Winfried Schulz zu vielen medienund kommunikationswissenschaftlich sowie gesellschaftspolitisch hochrelevanten Fragen:

  • Welche Rolle spielen Medien in Wahlkämpfen? Wie verändern sie
    deren Verlauf? Nehmen sie Einfluss auf das Ergebnis?

  • Welchen Einfluss haben Medien auf politische Einstellungen und
    die politische Partizipation?

  • An welchen Maßstäben kann man die Qualität der Medienleistun
    gen messen? Wie kann man also beschreibbar machen, wie gut sie der öffentlichen Aufgabe nachkommen, die sie – nolens volens – haben?

  • Wie wandelt sich das Mediensystem und welche Folgen hat dieser Wandel für die Gesellschaft und ihre Politik?

  • Und schließlich: Welchen Begriff macht sich die Medienund Kommunikationswissenschaft von der Rolle der Medien? Welches theoretische Paradigma ist geeignet, ihre Bedeutung in sich schlüssig und empirisch gehaltvoll zu charakterisieren?

Winfried Schulz ist aber nicht nur ad personam ein äußerst produktiver Forscher. Darüber hinaus war und ist er stets ein Antreiber für die Entwicklung des vergleichsweise jungen Fachs der Medienund Kommunikationswissenschaft. Er war beispielsweise Vorsitzender der DFG-Senatskommission für Medienwirkungsforschung sowie einer der Initiatoren und Koordinator des DFG-Schwerpunktes „Publizistische Medienwirkungen“. Mit diesem Engagement hat Winfried Schulz maßgeblich dazu beigetragen, dass es das nötige institutionelle Fundament für eine wissenschaftliche Analyse der Rolle der Medien überhaupt gibt.

Die Arbeiten von Winfried Schulz haben Schule gemacht. Winfried Schulz ist daher auch ein einflussreicher Lehrer.

Seine Arbeiten gehören zu den mit Abstand am häufigsten zitierten Werken der deutschen Medienund Kommunikationswissenschaft. Neben seinen originären Studien hat er Schriften vorgelegt, in denen der Stand der Forschung übersichtlich zusammengefasst und geordnet wird. Sein Lehrbuch zur politischen Kommunikation liegt mittlerweile in der dritten Auflage vor; und soeben hat er ein Lehrbuch zur Rolle von Medien bei Wahlen veröffentlicht. In zahlreichen Beiträgen in Fachzeitschriften und Monografien nimmt er zu theoretischen Kontroversen Stellung und ordnet den Stand der Forschung ein.

Alle, buchstäblich alle Kommunikationswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in Deutschland haben von Winfried Schulz gelernt. Das gilt namentlich und insbesondere für die Kolleginnen und Kollegen hier in Düsseldorf, die mit Winfried Schulz das besondere Interesse an der Analyse politischer Kommunikation teilen. Aber auch über die Grenzen der deutschen Fachcommunity hinaus genießt Winfried Schulz international ein hohes Renommee. Und als Soziologe darf ich sagen, dass sein Wirken selbstverständlich schon lange in die benachbarten sozialwissenschaftlichen Disziplinen hineinreicht.

Es ist die besondere Qualität seiner Schriften, die für diese immense Beachtung sorgt. Wenn Winfried Schulz sich dazu äußert, was wir über die Macht der Medien wissen können und wissen sollten, zeichnet sich sein Urteil durch abwägende Nachdenklichkeit und nüchterne Klarheit aus.

Ein kleines Beispiel muss an dieser Stelle genügen, um diese Vorzüge zu erläutern: Auch in der Medienund Kommunikationswissenschaft findet sich – wie in allen anderen Disziplinen – folgende Kommunikationsstrategie: Es wird ein Begriffsetikett eingeführt – wie beispielsweise der etwas schillernde Begriff der „Medialisierung“ – und damit wird der Anspruch verbunden, die Forschung nun auf eine ganz neue Grundlage stellen zu können. Schulz begegnet solchem Getöse auf subtile und elegante Weise in einem Zweischritt: Er erinnert zunächst daran, welche Gedanken schon die frühen einschlägigen Forscher wie etwa Lazarsfeld zum Thema formulierten. Damit ist manch auftrumpfender Gestus schon einmal pariert, ohne darum viel Aufhebens zu machen. Dazu greift Winfried Schulz auf eine Kenntnis der wissenschaftlichen Literatur zurück, die so umfassend ist, dass es auch die kundige Leserschaft immer wieder in Staunen versetzt. Sodann prüft er – zweiter Schritt – die aufgestellte Behauptung auf unbestechliche Weise auf ihre widerspruchsfreie Klarheit und ihre empirische Evidenz. Zwischen den Zeilen kommt dabei stets die Zuversicht zum Ausdruck, dass es der Wissenschaft auf diese Weise – nämlich durch die selbstkritische Prüfung und Verbesserung ihrer Leistungen – gelingt, bei der Aufklärung der Macht der Medien Fortschritte zu erzielen.

Im Werk von Winfried Schulz ist also viel Licht – keines, das blendet, sondern eines, das für Klarheit und weite Sicht sorgt. Die Meyer-Struckmann-Stiftung und die Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ehren Winfried Schulz daher als Wissenschaftler, der sich darum verdient gemacht hat, dass wir den

Einfluss der Medien auf das Weltbild der Menschen und ihr Handeln präziser untersuchen, schlüssiger erklären und daher besser verstehen können.

Prof. Dr. Ulrich Rosar

Lehrt an der Heinrich-Heine-Universität Soziologie. Von 2011 bis 2015 Prodekan der Philosophischen Fakultät der HHU, seit 2015 Dekan. Wichtigste Arbeitsschwerpunkte: Methoden der empirischen Sozialforschung – u. a. Faktorielle Surveys, Mehrebenenanalysen und Vergleichende empirische Sozialforschung, Politische Soziologie – insbesondere Wahlforschung, Vorurteils- und Ungleichheitssoziologie – insbesondere Attraktivitätsforschung.