An dieser Stelle und aus diesem Anlass sprach zuletzt Gert Kaiser in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung. Da Herr Kaiser zurzeit Gastvorlesungen in Kalifornien hält, spreche ich als stellvertretender Vorsitzender der Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung an seiner Stelle.

Fritz Meyer-Struckmann, geboren 1908 in Berlin und Enkel eines der Väter des BGB, arbeitete nach dem Krieg in Essen als Banker: Er wurde Partner beim Bankhaus Burkhardt, vormals Simon Hirschland, das später zu Trinkaus & Burkhardt in Düsseldorf fusioniert wurde. Bis zu seinem Tod im Jahre 1984 galt sein

Wirken dem materiellen und kulturellen Wiederaufbau Deutschlands. Würde ich Ihnen hier berichten über die außerordentlichen unternehmerischen Entscheidungen, die er in diesem Zusammenhang getroffen hat, würde ich Sie mit bisher unbekannten Details der deutschen Nachkriegsgeschichte überraschen.

Wir sind aber heute hier, um eine Preisverleihung für geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung vorzunehmen. Zu ehren ist Herr Prof. Dr. Shmuel Feiner.

Wir widmen in unserer Stiftung, wie schon in der Einladung umrissen, einen großen Teil unserer Aufmerksamkeit geistes- und sozialwissenschaftlichen Themen. Mit unserer Fördertätigkeit erfüllen wir Vermächtnisse, die Dr. Meyer-Struckmann den Mitgliedern der von ihm errichteten Stiftung gleichen Namens auferlegt hat.

Dass der Dr. Meyer-Struckmann-Preis 2007 verliehen wird für »jüdische Tradition in Kultur und Gesellschaft Europas«, steht in einer engen Beziehung zu anderen Fördertätigkeiten unserer Stiftung auf diesem Gebiet. So fördern wir eine Habilitandin, die der Entstehung und Entwicklung der jiddischen Sprache nachgeht. Wir hatten mit ihr kürzlich ein faszinierendes Gespräch, in dem die Ansiedlung jüdischer Männer bzw. Familien durch die damalige römische Besatzungsmacht in frühchristlicher Zeit im Raum zwischen Basel, Mainz und Regensburg eine Rolle spielte. Als erster namentlich bekannter Jude in Deutschland gilt der Großkaufmann »Isaak« am Hof Karls des Großen, den dieser 797 bis 802 in einer Gesandtschaft nach Bagdad zum Kalifen Harun al-Raschid schickte und der einen Elefanten von dort mitgebracht haben soll. Von Ludwig dem Frommen sind Privilegien um 825 erhalten, die für die Juden Vergünstigungen sichern und unter anderem einige ihrer Tätigkeiten im Handel zwischen Böhmen und Spanien regeln. Groß angelegte Privatinitiativen widmen sich der früheren jüdischen Altstadt von Regensburg. Man erhofft sich hiervon Aufklärung über die ersten jüdischen Ansiedlungen in diesem Gebiet. Kürzlich wurde in Regensburg ein Bodenrelief des israelischen Künstlers Dani Karavan der Öffentlichkeit übergeben, das an zentraler Stelle den Grundriss der mittelalterlichen Synagoge zeigt.

Jetzt zur Aufklärung, dem Thema des heute zu ehrenden Gelehrten.

In Deutschland verbindet sich mit ihr vorrangig der Name Moses Mendelssohn. Er war, geboren in Dessau 1729, Sohn des jüdischen Küsters und Gemeindeschreibers Mendel Heymann und wurde früh als Hochbegabung erkannt. Seine Muttersprache war das späte West-Jiddisch. Mit 13 bereits bearbeitete er das Hauptwerk von Moses Maimonides »Führer der Unschlüssigen«. Mit 16 ging er nach Berlin – barfuß, wie die Legende berichtet. Mithilfe älterer, weltlich gebildeter Schüler eignete sich Mendelssohn Deutsch und später Latein, Französisch und Englisch sowie weiteres weltliches Wissen an. Er zeigte früh eine Neigung zur Philosophie; den englischen Frühaufklärer John Locke studierte er zunächst auf Lateinisch mithilfe eines Wörterbuchs. Er lernte Gotthold Ephraim Lessing kennen, der ihm zur Publikation seiner ersten deutschen Schriften verhalf. Lessing vermittelte ihm auch die Bekanntschaft mit Friedrich Nicolai, der ihn als Mitarbeiter für seine einflussreiche Zeitschrift »Briefe, die Neueste Litteratur betreffend« gewann, wodurch Mendelssohn zu einem der einflussreichsten Literaturkritiker der damals neu entstehenden deutschen Literatur wurde. 1763 gewann Mendelssohn, vor Immanuel Kant, mit einem philosophischen Aufsatz den ersten Preis der »Königlichen Academie« (die spätere Preußische Akademie der Wissenschaften) und wurde damit zu einem allgemein anerkannten Denker. In Moses Mendelssohn also haben wir eine Symbolfigur für Aufklärung in Preußen.

Und zur jüngeren Geschichte. Ich selbst war, wie einige von Ihnen wissen, mehr als ein halbes Jahrhundert als Unternehmer tätig. Ich habe schon vor Jahrzehnten meiner Überzeugung Ausdruck gegeben, dass der wirtschaftliche, wissenschaftliche und industrielle Aufstieg Preußens und Deutschlands ab der Mitte des 19. Jahrhunderts für mich nicht denkbar gewesen wäre ohne die überaus zahlreichen Aktivitäten jüdischer Mitbürger.

Wir befassen uns in der Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung also mit einer Thematik, die im Falle Deutschlands Entwicklungen in mehr als 15 Jahrhunderten umfasst.

„The Jewish Enlightenment.“

Ich freue mich, dass die diesjährige Juryentscheidung auf Prof. Dr. Shmuel Feiner gefallen ist, und ich begrüße es, dass sein Themenfeld »Jüdische Tradition in Kultur und Gesellschaft Europas« uns dazu einlädt, uns nicht nur während dieser Feierstunde, sondern darüber hinaus mit diesem Themenkreis zu beschäftigen. Kant sagte: »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.«

Prof. Dr. iur. Dr.-Ing. E.h. Dieter Spethmann (geb. 1926)

Stellvertretender Vorsitzender der Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung. Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats der IKB Deutsche Industriebank. Kurator des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft.