Grußwort
Prof. Dr. Ulrich von Alemann
Anlässlich der Verleihung des Meyer-Struckmann-Preises für geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung 2007
Sehr geehrter Herr Feiner,
Magnifizenz der Heinrich-Heine-Universität, Herr Prof. Spethmann,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Gäste,
durchstreift man die Feuilletons der überregionalen Zeitungen, liest man allerorten von einer »Krise der Geisteswissenschaften«. Fast scheint es so, als hätte das von Bundesforschungsministerin Annette Schavan ausgerufene »Jahr der Geisteswissenschaften«, das sich inzwischen seinem Ende neigt, mehr Debatten über diese vermeintliche Krise als wissenschaftliche Leistungen hervorgebracht. Der renommierte Freiburger Historiker Ulrich Herbert – um nur ein Beispiel zu nennen – hat in einem Vortrag in der Heinrich-Heine-Universität und der »Zeit« vom 30. August 2007 die Situation an deutschen Universitäten mit Bezug auf die Lehre sogar als »kontrollierte Verwahrlosung« charakterisiert. – Ich muss gestehen, dass ich beim Gedanken an die Flure und Seminarräume so mancher Bildungseinrichtung in diesem Land geneigt bin, diesem Befund zuzustimmen.
Aber der äußere Schein trügt. Er ist nur Zeichen der schwierigen ökonomischen Situation an deutschen Hochschulen. Sie sind chronisch unterfinanziert. Denn längst beginnen im Innern die vielfältigen Reformbemühungen der letzten Jahre Früchte zu tragen. Die Umstellung auf Bachelor- und Master-Abschlüsse im Zuge des Bologna-Prozesses, die Modularisierung der Lehre, die verstärkte Vernetzung der Fächer durch Stiftung integrierter Studiengänge bzw. ihre Reorganisation in Strukturen, die Methoden des modernen Managements berücksichtigen, all diese Maßnahmen sind Ausdruck eines veränderten Bewusstseins an den Universitäten.
Die Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat als eine der ersten in Deutschland ihre Studiengänge komplett auf BAund MA-Abschlüsse umgestellt und mit den Literatur- und Kultur-, Sprach- und Sozialwissenschaften drei Schwerpunktbereiche gebildet. Darüber hinaus wurden mit den Bereichen Geschichte und Alte Kulturen, Philosophie, Kultur- und Medienwissenschaften sowie den Jüdischen Studien und Modernes Japan fünf Zukunftsbereiche eingerichtet.
Wir sehen es als ein Qualitätsmerkmal von geistes- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten an, ein differenziertes Fächerangebot vorhalten zu können. Trotz aller Kürzungen können mit dieser Profilbildung den Studierenden auch weiterhin attraktive Wahlmöglichkeiten eröffnet werden.
Mit dem Institut für Jüdische Studien beheimatet die Philosophische Fakultät einen Zukunftsbereich, der in dieser Form in Deutschland einmalig ist. Der Erfolg gibt uns recht. Die Statistiken zeigen, dass die Zahl der Studienanfänger in den geisteswissenschaftlichen Fächern stabil ist und zum Teil sogar wächst – und das bei einer gleichbleibenden Zahl von Lehrenden und sinkenden Etats. Die sogenannte »Krise der Geisteswissenschaften« ist – wenn überhaupt – eine ökonomische. Das Gut geisteswissenschaftlicher Bildung und Forschung wird von der Gesellschaft stärker denn je nachgefragt. Die »FAZ« räsoniert über die »Lehrsklavenhaltergesellschaft« an den deutschen Universitäten heute. Ich glaube, diese und ähnliche Selbstbezichtigungen der Geisteswissenschaften müssen oft mit der psychotherapeutischen Therapie des Masochismus erklärt werden.
Angesichts der weitreichenden Kraftanstrengungen, die mit den Reformen der letzten Jahre verbunden waren, ist es umso bewundernswerter, mit welchem ideellen Reichtum, welcher Differenziertheit und historischen Tiefenschärfe geistes- und kulturwissenschaftliche Forschung und Lehre unter diesen schwierigen Umständen zur Selbstbeschreibung und dem Verständnis unserer Gesellschaft beitragen. Wir haben uns heute hier versammelt, um diese Leistung zu würdigen und das Werk eines herausragenden Wissenschaftlers zu ehren, der alle diese Qualitäten auf sich vereinigt.
Als Dekan der Philosophischen Fakultät ist es mir eine Freude, Sie alle zur Verleihung des Dr. Meyer-Struckmann-Preises 2007 begrüßen zu dürfen. Seit 2006 verleiht die Philosophische Fakultät der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf den mit 20.000 Euro dotierten Dr. Meyer-Struckmann-Preis zu jährlich wechselnden Themen der geistes- und kulturwissenschaftlichen Forschung. Ermöglicht wurde die Ausschreibung des Preises durch die großzügige Unterstützung der Dr. MeyerStruckmann-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum NRW und ihrem Präsidenten, Professor Gert Kaiser. Mit dem Preis sollen Wissenschaftler geehrt werden, deren Arbeiten weit über die eigenen Fachgrenzen hinauswirken und sich zudem durch eine sprachlich exzellente Gestaltung auszeichnen. In diesem Jahr wird der Dr. Meyer-Struckmann-Preis verliehen an Prof. Dr. Shmuel Feiner für seine herausragenden Forschungen auf dem Gebiet »Jüdische Traditionen in Kultur und Gesellschaft Europas«. Dazu möchte ich Ihnen, Herr Feiner, meine besten Glückwünsche aussprechen.
Die Jury würdigt damit insbesondere Ihr Opus magnum »Haskala – Jüdische Aufklärung. Geschichte einer kulturellen Revolution«. Auf der Basis eines reichen Spektrums historischer Quellen rekonstruieren Sie erstmals die Geschichte der jüdischen Aufklärung im Europa des 18. Jahrhunderts in ihrer ganzen Bandbreite. Eindrucksvoll schildern Sie die Verwebungen der HaskalaBewegung mit der Geschichte der europäischen Aufklärung insgesamt und verfolgen die Stürme, welche die Haskala im jüdischen Leben des 18. Jahrhunderts hervorrief. Die säkulare Revolution der Haskala zerbrach ein für alle Mal die Einheitlichkeit des Judentums und läutete das Zeitalter der Moderne in der jüdischen Kulturgeschichte ein. Diese Gratwanderung zwischen Tradition und modernem Denken in einer sich radikal ändernden Welt hat die europäische Kultur geprägt und ist in veränderten Formen bis heute wirkmächtig geblieben. Es gehört zu den großen Leistungen geistes- und kulturwissenschaftlicher Forschung, zum Verständnis der historischen Entwicklung unserer Gesellschaft beizutragen und uns damit in unübersichtlichen Zeiten Orientierungshilfen für unser Leben an die Hand zu geben. Dies ist Ihnen, Herr Feiner, in vortrefflicher Art gelungen.
Univ.-Prof. Dr. Ulrich von Alemann (geb. 1944)
Lehrt an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Politikwissenschaft.
Dekan der Philosophischen Fakultät der HHUD.
Wichtigste Arbeitsschwerpunkte: Parteien, Verbände, Demokratietheorie, politische Korruption.
Jüngste größere Publikation: Dimensionen politischer Korruption. Wiesbaden 2005.