Grußwort
Prof. Dr. Bernd Witte
Anlässlich der Verleihung des Meyer-Struckmann-Preises für geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung 2006
Lieber Herr Böhme, sehr geehrter Herr Staatssekretär Grosse-Brockhoff, sehr verehrter Herr Präsident, lieber Herr Kollege Kaiser, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,
auch die Philosophische Fakultät der HHUD hat einen Exzellenzwettbewerb durchgeführt. Sie hat dazu nicht Juroren aus Stanford, Princeton oder St. Gallen eingeladen, sondern die Jury aus sachkundigen und engagierten Mitgliedern der eigenen Fakultät zusammengestellt. Und sie hat nicht wissenschaftliche Großprojekte und hochfliegende Pläne von Forschungsgruppen und Exzellenzclustern prämiert, sondern die bereits vorliegende Forschungsleistung eines Einzelnen, der in »Einsamkeit und Freiheit« ein Werk vorgelegt hat, das eines der zentralen Felder heutiger Kulturwissenschaft neu beleuchtet: das Feld der »Memoria, des kollektiven Gedächtnisses«.
Maurice Halbwachs hat als Erster dieses Forschungsparadigma eingeführt, indem er die Bedeutung des kollektiven Gedächtnisses für die Identitätsbildung von gesellschaftlichen Gruppen und Nationen unterstrichen hat.
Der Dr. Meyer-Struckmann-Preis wird an Hartmut Böhme vergeben in Anerkennung seines Gesamtwerks und unter Berücksichtigung seiner neuesten Veröffentlichung: Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne. In diesem Buch widmet sich Hartmut Böhme dem, was in unserer »aufgeklärten« Gegenwart verdrängt und vergessen ist. Seine These lautet, »dass in der Moderne vormoderne Formen und Institutionen der Magie, des Mythos und Kultus, der Religion und der Festlichkeit aufgelöst werden, ohne dass die darin gebundenen Energien und Bedürfnisse zugleich aufgehoben wären«.
Indem Böhme »das Afrika in uns«,
Die heutige Preisverleihung ist möglich geworden dank der mutigen Initiative der Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung, die in einer Zeit, in der die Geistes- und Kulturwissenschaften in sogenannten Eliteuniversitäten und Exzellenzclustern keine Beachtung mehr finden, ein Zeichen gesetzt hat. Sie möchte mit ihrem hoch dotierten Preis die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit jeweils auf ein Forschungsgebiet und einen Forscher aus dem Bereich der Geistes- und Kulturwissenschaften richten. In diesem Jahr wurde eine Arbeit zum Thema »Memoria: Formen des kollektiven Gedächtnisses« prämiert. Im nächsten Jahr soll der Preis für Arbeiten zum »Fortleben jüdischer Traditionen in Kultur und Gesellschaft« ausgeschrieben werden.
Und noch eine Besonderheit dieses Preises möchte ich zum Schluss hervorheben. Er wird nicht von einer Akademie oder einer Stiftung vergeben, sondern von der Philosophischen Fakultät einer Universität und damit von einer Institution, deren genuine, im Grundgesetz garantierte Aufgaben Forschung und Lehre sind. Dass dies heute möglich geworden ist, in einer Zeit, in der die kulturwissenschaftliche Forschung unter den Zwängen der Bachelor- und Masterausbildung zu verkümmern droht, dafür möchte ich dem Vorsitzenden der Dr. MeyerStruckmann-Stiftung persönlich danken. Ihnen, lieber Herr Professor Kaiser, kommt das Verdienst zu, die Philosophische Fakultät wieder als den Ort sichtbar gemacht zu haben, an dem die Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung der Gesellschaft in Muße möglich ist und an dem sich so das kulturelle Gedächtnis konstituieren kann.
Univ.-Prof. Dr. Bernd Witte (geb. 1942)
Lehrt an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Neuere Deutsche Literaturwissenschaft. Alt-Dekan der Philosophischen Fakultät der HHUD.
Wichtige Arbeitsschwerpunkte: Autoren des 18. und 20. Jahrhunderts.
Jüngste größere Publikation: Jüdische Tradition und literarische Moderne. Heine, Buber, Kafka, Benjamin. München 2007.
- [1]
Maurice Halbwachs: »Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen« (1925), Frankfurt/M. 1985.
- [2]
Pierre Nora: »Zwischen Geschichte und Gedächtnis«, Berlin 1990.
- [3]
Hartmut Böhme: »Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne«, Reinbek 2006, S. 22.
- [4]
A.a.O. S. 172.