Grußwort
Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff
Anlässlich der Verleihung des Meyer-Struckmann-Preises für geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung 2006
Spectabilis, Herr Präsident, Professor Böhme, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ob die Humboldt-Universität Ihnen den Preis verliehen hätte, bin ich nicht ganz so sicher, Herr Professor Böhme, wenn ich mir die Zusammensetzung des dortigen Lehrkörpers ansehe. Aber meine Damen und Herren, lassen Sie mich gleich zu Beginn sagen, der Dank liegt wirklich auf meiner Seite. Ich möchte mich herzlich bedanken, dass ich hier sein darf, und dass ich vor allen Dingen hier sein darf anstelle des Wissenschaftsministers Professor Pinkwart, der noch im Kabinett weilt, wo ich eigentlich auch noch sein müsste, aber da man sich dort noch über die landeseigene Wohnungsgesellschaft und ihren Verkauf – eine grundlegende Entscheidung – unterhält, durfte ich – als nur noch Kulturstaatssekretär – entfleuchen und hierhin eilen. Und ich bin der Meinung, hierhin gehört in der Tat, mit gleichem Recht der für die Kultur Verantwortliche wie der für die Wissenschaft Verantwortliche. Als ich die Einladung, die Anfrage bekam, Herrn Professor Pinkwart, unseren Forschungs- und Wissenschaftsminister zu vertreten, hatte ich – und es gibt, glaube ich, keine Zufälle im Leben – gerade am Abend vorher, in einem der Feuilletons, die aufmerksamer zu lesen ich jetzt eben wieder mehr Zeit habe, eine hellwach machende Besprechung Ihres jüngsten Buches gelesen. Ich glaube, es war die »Neue Zürcher«. Und ich habe sofort am nächsten Morgen gesagt: »Das Buch mir bitte bestellen.« Wenige Stunden später hatte ich auf dem Tisch die Anfrage, zur heutigen Verleihung zu sprechen. Ich habe das Buch dann mit in den Urlaub genommen und in Oberitalien mit Bereisung aller oberitalienischen Städte – gerade jetzt im Herbsturlaub – gelesen und wirklich verschlungen. Auch als Nichtphilosoph, als Nichtkulturwissenschaftler, als Nichtsozialwissenschaftler, sondern schlicht als Jurist – und damit nach Ludwig Thoma »auch sonst von mäßigem Verstande« – habe ich Ihr Buch und Ihre Sprache verstanden. Allein schon die wunderbare Sprache. Dafür möchte ich mich besonders bedanken! Es ist ein Genuss, dieses Buch zu lesen und jeder, der es noch nicht getan hat, dem sei es wirklich empfohlen. Ich habe übrigens inzwischen eine ganze Partie geordert, um andere Menschen damit zu beglücken.
Meine Damen und Herren, ich gehöre zum Studentenjahrgang 68. Da habe ich begonnen, zu studieren. Da begleitet mich seit dem Jahr 69 ein Buch – ich weiß noch wie heute, wie ich es am Büchertisch des roten Sternverlages in der Bonner Mensa gekauft habe – ein Raubdruck der gerade frisch erschienen, der 44 in New York veröffentlichten, 47 in Amsterdam erstmals auf deutsch veröffentlichten Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno. Und deren Eingangssätze haben damals auch mich »gehämmert«. Ich darf den ersten Satz zitieren: »Seit je hat Aufklärung im umfassenden Sinne fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen, aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.« Das sind Worte, die haben die beiden nicht etwa 68 geschrieben, sondern 44 und 47 veröffentlicht, und in Deutschland sind sie zunächst überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden. Zu einer Zeit, in der doch nichts näher lag als sich wieder positivistisch der Aufklärung und Ratio zu verschreiben, haben sie deren Konsequenzen beschrieben und die Widersprüchlichkeit des Begriffes der Aufklärung selbst nachgewiesen. Um mit Max Weber zu sprechen: »Auf die »Entzauberung der Welt«, aus Rationalisierung, folgt zwangsläufig wieder die »Sehnsucht nach Verzauberung«, so wie – es sei mir als einem der gerade aus Mantua kommt, verziehen darauf hinzuweisen – so wie bereits der Manierismus als Reaktion auf die klassischen Ideale der Renaissance folgte. Und dieses Buch hat mich Zeit meines Lebens beschäftigt und jetzt habe ich in Ihrem Buch »Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne«, Herr Professor Böhme, zum ersten Mal seine Fortsetzung gefunden, und zwar eine Fortsetzung mit anderen Mitteln. Das Begeistertsein beginnt schon mit der eingangs beschriebenen Anekdote – die der eine oder andere vielleicht von Ihnen kennt –, nämlich der Erzählung, die von Heisenberg stammt, dass Niels Bohr einmal in einem Kreise von Freunden von einem Mann erzählt habe, der über seiner Eingangstür – und ich darf Sie mit Ihrer Erlaubnis zitieren – »über dem Eingang seines Hauses ein Hufeisen angebracht hatte, das nach einem alten Volksglauben Glück bringen soll.« Als ein Bekannter ihn fragte: »Aber bist du denn so abergläubisch? Glaubst du wirklich, dass das Hufeisen dir Glück bringt?« antwortete er: »Natürlich nicht, aber man sagt doch, dass es auch dann hilft, wenn man nicht daran glaubt.« Was mich übrigens, das darf ich hier in diesem Haus, in diesem Kreis vielleicht sagen, an zwei Worte meines Vaters erinnert. Er war Mediziner hier und Mitglied der medizinischen Fakultät und schied zwischen zwei Sorten von Medikamenten: solche, an die man glauben muss, damit sie helfen, und solche, die helfen, wenn man nicht daran glaubt. Der Grundgedanke Ihres Buches ist so genial einfach, dass ich diesen kleinen kurzen Satz hier nur zitieren möchte. Professor Böhme bringt sein Buch kurz und knapp auf den Punkt, indem er sagt: »Dinge tun etwas mit den Menschen und nicht nur wir mit ihnen.« Und damit krempelt er die gesamte Moderne um. In einer atemberaubenden Weise, wie ich es noch nicht gelesen habe, was natürlich an meiner Unbildung liegen mag, an meinem zu geringen Überblick über die Literaturlage, aber mich hat es jedenfalls tief bewegt. Und ich prophezeie, es ist in der Tat ein epochemachendes Buch und wir werden noch viel davon zu hören bekommen. Ich darf noch eine Passage, die mich besonders fasziniert hat und die etwas mit meinem Beruf als ehemaliger Kulturdezernent zu tun hat, der jetzt Staatssekretär für die Kultur ist: »Nichts scheint falscher zu sein, als die These von der Entzauberung der Welt. Die Fetisch-, Idol- und Kulturformen heute in Politik, im Sport, im Film, im Konsum, in der Mode usw. belehren im Gegenteil darüber, dass die Entzauberung im Namen der Rationalität zu einem schwer kontrollierbaren, deswegen umso wirkungsvolleren Schub von Energien der Wiederverzauberung geführt hat. Deswegen scheint die These berechtigt, Demokratie bedarf der Kulte, diese bedürfen aber nicht der Demokratie.« Diese Asymmetrie hat bisher noch keine Theorie der Aufklärung toleriert – um hierfür das Bewusstsein zu schärfen, ist dieses Buch geschrieben worden. Und diese Einfachheit des Grundgedankens hat mich erinnert an das wunderbare Wort von Friedrich Schlegel und ich habe heute morgen noch mal meine Frau, die über Schlegel, Friedrich Schlegel wohlgemerkt, promoviert hat, gefragt, sie hat mir dann bei Behler das Zitat auch noch mal herausgesucht: »Alle höchsten Wahrheiten jeder Art sind durchaus trivial und eben darum ist nichts notwendiger als sie immer neu und womöglich immer paradoxer auszudrücken, damit es nicht vergessen wird, dass sie noch da sind, und dass sie nie eigentlich ganz ausgesprochen werden können.« Das Zitat stammt aus dem Text »Über die Unverständlichkeit«.
Meine Damen und Herren, Preis und Dank einem solchem Autor! Und das meine ich von ganzem Herzen, persönlich, wie auch von Amts wegen. Preis und Dank aber auch einer Fakultät, die einen solchen Preisträger vorschlägt, der ihr nicht einmal angehört. Preis und Dank aber vor allen Dingen an den Stifter. An die Stiftung und ihre Verantwortlichen, die diesen Preis erstmals ausgelobt und auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften geschaffen haben, und damit wirklich Preis und Dank einem Stifter, der es einmal auf die Geisteswissenschaften abgestellt hat, wie es eben nur selten geschieht. In Düsseldorf glücklicherweise zweimal, nämlich auch durch die Gerda-Henkel-Stiftung, die Ähnliches im Bereich der Geisteswissenschaften tut.
Wenn wir heute so viel von Exzellenz in den Wissenschaften reden, ist mir persönlich viel zu wenig von den Geisteswissenschaften die Rede: Ich bin sehr froh, dass Annette Schavan als Bundesforschungsministerin hier als Motor wirkt, gerade für die Geisteswissenschaften. Man kann Stiftern wie Herrn Dr. Meyer-Struckmann nicht dankbar genug sein dafür, dass sie so etwas durch ihr Vorbild anstoßen. Daher Ihnen, den Stiftern des Preises, vor allem aber dem Gründer der Stiftung, den allerhöchsten Preis und Dank und Ihnen allen, meine Damen und Herren, Dank für die Aufmerksamkeit!
Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (geb. 1949)
Staatssekretär für Kultur des Landes NRW. Kulturdezernent der Stadt Düsseldorf bis 2005.